Interview

„Wir werden uns nicht dafür entschuldigen, dass viele Touristen kommen“

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
  • Drucken

Tirols Landeshauptmann, Günther Platter, über die Verkehrsproblematik, die Gefahr des Overtourism, Steuerautonomie und die Frage nach seinem Pensionsantrittsalter.

Wenn Tirol in den vergangenen Monaten in den Schlagzeilen war, dann vor allem wegen der Verkehrsproblematik inklusive der Fahrverbote. Wird die Situation besser?

Günther Platter: Wir haben mit Berlin und Wien gemeinsam einen Zehnpunkteplan erarbeitet, diese Punkte werden jetzt nach und nach umgesetzt. Es gibt zum Beispiel ein Schreiben an die Kommission, das von Deutschland unterstützt wird, in dem wir die Einführung einer Korridormaut für Lkw fordern. Wir wollen gleiche Bedingungen für alle Alpenübergänge bei der Beförderung der Güter auf der Straße. Es gibt einen großen Umwegtransit, weil es eben von München nach Verona durch Tirol derzeit billiger ist.

Der Transit durch Tirol soll also gleich teuer sein wie eine Fahrt durch die Schweiz oder Frankreich, Länder, die viele Spediteure meiden.

Selbstverständlich. Wir haben zwischen München und Verona eine viel zu geringe Maut, in Tirol ist sie zwar deutlich höher, aber das macht auf der Gesamtstrecke nicht viel aus. Es geht um gleiche Rahmenbedingungen und das heißt: Rauf mit der Lkw-Maut.

Und Deutschland trägt das mit?

Ja, das hat auch mit den Maßnahmen zu tun, die wir gesetzt haben, wie etwa die Lkw-Blockabfertigung an der Grenze. Darauf werde ich in Deutschland nicht einmal mehr angesprochen, das hat man zur Kenntnis genommen. Das ist auch unverrückbar, das bleibt. Wir halten auch an den Lkw-Fahrverboten an verkehrsreichen Wochenenden fest, das an Samstagen ab sieben Uhr früh gilt. Ein weiterer Schritt wird ein gemeinsames Dosiersystem sein, das anzeigt, wenn es zum Beispiel in Tirol einen Stau gibt. Dann können Lkw schon in München dosiert werden, um größere Staus zu vermeiden. Ich spüre in Deutschland schon eine deutliche Änderung der Haltung, man widmet sich dem Thema sehr ernsthaft.

Der Pkw-Verkehr wird ebenfalls immer mehr zu einem Problem, nicht nur wegen der Durchreise, auch bei der Anreise. An Winterwochenenden steht der ganze Verkehr, etwa durch das Zillertal. Wird Tirol Opfer seines eigenen Tourismuserfolgs?

Wir diskutieren mit der Tirol Werbung Maßnahmen, um beispielsweise die Gäste noch stärker dazu zu bringen, mit dem Zug anzureisen, oder um Anreize zu schaffen, damit die Menschen nicht am Wochenende anreisen. Aber das größere Problem ist im Sommer die Durchreise nach Italien. Deshalb gibt es im Sommer die Abfahrverbote, damit die Staus nicht auf niederrangige Straßen ausgeweitet werden. Wir haben jetzt in der Regierung auch die Abfahrverbote für den Winter beschlossen.

Viele klagen über Overtourism, wird das auch in Tirol zu einem Problem?

Ich verwende die Bezeichnung Overtourism nicht. Wir werden uns nicht dafür entschuldigen, dass viele Touristen nach Tirol kommen. Denen gefällt es einfach bei uns. Aber wir müssen das Augenmerk darauf richten, mehr Wertschöpfung zu haben, nicht eine Steigerung bei den Nächtigungskapazitäten. Tirol braucht nicht mehr Betten, es muss noch stärker in Richtung Qualität gehen.

Verärgern sollte man die Touristen nicht, sie haben Tirol in den vergangenen Jahrzehnten ja reich gemacht.

Nicht nur das, durch den Tourismus konnten wir auch die Landflucht verhindern. Im Zusammenspiel zwischen Tourismus und Landwirtschaft funktionieren die kleinen Seitentäler, dort können wir den jungen Menschen eine Zukunftsperspektive geben. Aber der Tourismus allein ist nicht alles. Wir haben auch eine starke Industrie und viele, gute Klein- und Mittelbetriebe. Das ist ein Grund dafür, dass wir seit 2015 bei der Arbeitslosenrate meist besser als die anderen Bundesländer gelegen sind. Wir haben aktuell lediglich 5,8 Prozent Arbeitslose. Auch bei den älteren Arbeitslosen geht die Beschäftigung nach oben. Es geht also alles in die richtige Richtung.

Sind die guten Beschäftigungszahlen der Grund dafür, dass Gastronomie und Hotellerie in Tirol ein Problem haben, Personal zu finden? Muss man vielleicht wieder Gastarbeiter anwerben?

Saisonarbeiter brauchen wir auf jeden Fall, aber eine bessere Lösung wäre es, noch mehr Richtung Ganzjahrestourismus zu gehen, damit die Menschen im Tourismus das ganze Jahr eine Beschäftigung haben. Die Probleme mit dem Fachkräftemangel hat man ja nicht nur im Tourismus, auch in anderen Bereichen fehlen die Fachkräfte. Wir haben in Tirol 2015 eine Fachkräfteplattform gegründet, in der wir gemeinsam – die Sozialpartner, das AMS, die Politik – Maßnahmen planen, um den Mangel zu beheben.

Was hat diese Plattform beispielsweise gemacht?

Wir wollen etwa den Maturanten anbieten, eine verkürzte Lehre zu machen und dann in bestimmte Berufsfelder einzusteigen. Deutschland hat ein ähnliches Modell, da hat man gute Erfahrungen gemacht.

Sie sind ja selbst das beste Beispiel für Karriere mit Lehre. Sie haben die Buchdruckerlehre gemacht.

Ja, man nennt es auch die schwarze Kunst. Wahrscheinlich schaffe ich es deswegen auch, die Schwarzen zusammenzuhalten (lacht).

Das war ein gutes Stichwort: In Tirol bleibt man ja schwarz, da wird die ÖVP nicht türkis.

Ja, schwarz wie die Nacht (lacht). Wir werden uns da auch nicht verändern, das ist eine autonome Angelegenheit der Länder. Es gibt aber keinen Gegensatz zu den Türkisen, wir sehen uns halt einfach nur als Schwarze. Die Farbenspiele haben auf die Menschen keine Auswirkungen, das sieht man ja an den Wahlergebnissen. Bei der Nationalratswahl hat die ÖVP in Tirol und Salzburg die besten Ergebnisse eingefahren.

Und solche schwarzen Rebellen, wie beispielsweise AK-Chef Erwin Zangerl, gehören dazu?

Es gibt auch in der eigenen Gemeinschaft unterschiedliche Meinungen. Es ist verständlich, dass ein Arbeitnehmervertreter Politik für seine Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer macht. Auf der anderen Seite gibt es Wirtschaftsvertreter, die nicht minder scharf zurückschießen. Das muss die Partei aushalten.

Wie weit lassen Sie diese teilweise heftigen Schlagabtäusche zu?

Wenn ich Bedarf für eine Aussprache sehe, dann wird das unter vier Augen in meinem Büro besprochen. Aber man muss auch den verschiedenen Flügeln der ÖVP Spielraum lassen.

Weil wir bei den Farbenspielen waren: Schwarz-Grün funktioniert in Tirol ja recht gut, ist diese Koalition auch auf Bundesebene denkbar?

Man kann das Tiroler Modell nicht auf den Bund umlegen, das sind ganz andere Akteure. Das Wichtigste ist die Verlässlichkeit eines Koalitionspartners, unterschiedliche Meinungen gibt es überall, sogar innerhalb der Partei, aber man muss sich bei Absprachen und Einigungen auf den Partner verlassen können. Nicht nur auf der ersten Ebene, sondern auch auf der zweiten und dritten. Das ist in Tirol der Fall, das heißt aber nicht, dass es auch in Wien so geht.

Tirol schafft im kommenden Jahr wieder ein Nulldefizit. Wie weh tut es Ihnen, wenn man in Tirol gut wirtschaftet, aber Steuern an den Bund abführen muss?

Ich bin und bleibe ein Anhänger der Steuerautonomie. Wenn jedes Bundesland seine eigenen Einkommen- und Körperschaftsteuern erlassen könnte, das wäre schon interessant – gerade für uns: Tirol hat den besten Wirtschaftsstandort, eine konstant niedrige Arbeitslosigkeit, die geringste Verschuldung – jeder Tiroler ist mit gerade einmal 343 Euro verschuldet. Aber dazu gibt es zwischen den Bundesländern keine einheitliche Linie, deswegen will ich dieses Thema nicht zu sehr strapazieren.

Sie sind im Sommer 65 Jahre alt geworden, Sie haben das gesetzliche Pensionsantrittsalter erreicht. Zieht es Sie in die . . .

. . . mein Pensionsantrittsalter ist dann, wenn ich es sage. Ich fühle mich in meinem Job sehr wohl, die Arbeit macht mir Freude, die Menschen unterstützen mich. Pensionsgedanken habe ich keine, man muss weiter mit mir rechnen.

Sie sind der zweitlängstdienende Landeshauptmann nach Eduard Wallnöfer. Wie viele Jahre fehlen Ihnen noch auf seinen Rekord?

(Lacht.) Eduard Wallnöfer war 24 Jahre lang Landeshauptmann (Platter ist seit elf Jahren Landeshauptmann von Tirol, Anm.). Ich habe mich nie mit irgendwelchen Rekorden beschäftigt, ich habe immer nur von Legislaturperiode zu Legislaturperiode geplant.

ZUR PERSON

Günther Platter, 1954 in Zams geboren, ist seit 1. Juli 2008 Landeshauptmann von Tirol – nach Eduard Wallnöfer der längstdienende. Ursprünglich lernte Platter Buchdrucker, trat dann (1976) in die Gendarmerie ein. Seine politische Karriere begann 1986 als Gemeinderat der ÖVP in Zams. Später war er Bürgermeister (1989-2000), dazwischen auch Abgeordneter zum Nationalrat. 2003 wurde Platter in der ÖVP-FPÖ-Regierung unter Wolfgang Schüssel Verteidigungsminister, von 2006 bis 2008 leitete er in der SPÖ-ÖVP-Regierung das Innenministerium.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.11.2019)


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.