Gastkommentar

Österreich braucht ein Bewegungsministerium

(c) Peter Kufner
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Durch entsprechende Maßnahmen in Vorbeugung, Motivation zur Bewegung und gesünderes Leben könnten enorme Mittel für Gesundheit und Pflege eingespart werden. Aber Sport hat in unseren Regierungen keine Lobby.

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Als ehemaliger Präsident des österreichischen Tennisverbands darf ich konsterniert festhalten, dass in den sechs Gruppen türkiser und grüner Vertreter, die für die Koalitionsverhandlungen gebildet wurden,  das Wort Sport nirgends vorkommt. Es ist dies eigentlich eine Beleidigung der mehr als zwei Millionen Österreicher, die im ganzen Land in den verschiedensten Sportvereinen organisiert sind.

Es ist den Grünen, das muss man mit Hochachtung anerkennen, zwar gelungen, geradezu eine landesweite Klimahysterie auszulösen. Der Sport aber ist wieder einmal, wie schon bei den meisten früheren Koalitionsverhandlungen, unter den Tisch gefallen, auch wenn er vielleicht in einer Untergruppe behandelt wird.

Tatsächlich ist es nicht so wichtig, ob und wo ein Nationalstadion errichtet wird, ob es ein zuständiges Regierungsmitglied gibt, das Dominic Thiem in der Stadthalle öffentlichkeitswirksam applaudiert oder wie die einzelnen Gremien des organisierten Sports politisch fein austariert werden.

Klimaschutz wird teuer

Wir werden in Zukunft sicher weniger mit dem Auto fahren, wir werden unser Konsumverhalten ändern und die Temperatur in unseren Wohnungen im Winter geringer als zuletzt einstellen müssen. Wir werden auch Maßnahmen ergreifen müssen, die das Wirtschaftswachstum sicher negativ beeinflussen werden, sofern wir die angestrebten Klimaziele erreichen wollen.

Allerdings sollte man der Bevölkerung auch klarmachen, dass der Beitrag Österreichs zur Erreichung der Pariser Klimaziele nur sehr gering ist. Auch müssen wir uns einigen Maßnahmen, die insbesondere von den Grünen zum Klimaschutz verlangt werden, leisten können, weil das teuer werden wird. Kommt es zu finanziellen Einschnitten, wird die Klimabegeisterung rasch wieder verschwinden – wie zuletzt die Bewegung der  Gelbwesten in Frankreich eindrucksvoll gezeigt hat.

Es ist trotzdem unbestritten, dass etwas unternommen werden muss. Woher aber könnte das Geld kommen? Wirtschaftswachstum und Klimaziele passen nicht zusammen, manche Industriezweige wie Kohle, Stahl, Autoproduktion, ja selbst die Viehzucht kommen immer mehr unter Druck. Diese und andere Industriezweige haben in den vergangenen 50 Jahren viele Arbeitsplätze, eine enorme Wertschöpfung und breiten Wohlstand geschaffen.

Es mag schon stimmen, dass die Ökologisierung der Wirtschaft und die Digitalisierung neue Arbeitsplätze schaffen werden. Es wird aber sicher nicht ausreichen, um die durch die Klimaschutzmaßnahmen bedingten Ausfälle zu kompensieren. An diesem Punkt kommen nun Sport, Bewegung und Lebensstilveränderung auf die politische Agenda.

Wo gespart werden könnte

Tatsächlich könnten durch entsprechende Maßnahmen in Vorbeugung, Motivation zur Bewegung und gesünderes Leben enorme Kosten für Gesundheit und Pflege einspart werden. Die Lebenserwartung der Österreicher und Österreicherinnen ist im europäischen Vergleich hoch. Allerdings ist das Verhältnis gesunde Lebensjahre zu Lebenserwartung in Österreich besonders schlecht, was hohe Gesundheits- und Pflegekosten zur Folge hat. Bei ungefähr gleicher Lebenserwartung (mehr als 80 Jahre) ist die Anzahl der gesunden Lebensjahre in Österreich mit 57 Jahren beispielsweise im Vergleich zu Schweden mit gesunden 73 Lebensjahren katastrophal schlecht.

Dieser Unterschied manifestiert sich zum Beispiel  in der Anzahl der Spitalsbetten pro 1000 Einwohner – in Schweden 2,7 und in Österreich 7,7 Betten. Gleichzeitig ist die Anzahl der pflegebedürftigen Menschen in Schweden um ein Drittel geringer. Um erkennen zu können, dass in Österreich im ganzen Gesundheitsbereich also Milliarden eingespart werden könnten, braucht man kein Ökonom zu sein.

Allerdings muss auch die Kehrseite solcher Einsparungen angesprochen werden, das Gesundheits-  und Pflegesystem ist sehr personalintensiv.  Einsparungen in diesem Bereich sind immer auch mit Arbeitsplatzverlust verbunden.

Starkes Ost-West-Gefälle

Warum dieser Unterschied zwischen Österreich und Schweden? Es ist ein multifaktorielles Geschehen, aber ein Unterschied ist unverkennbar. In Österreich betreiben nur 47 Prozent der 20- bis 65-Jährigen und 24 Prozent der über 65-Jährigen regelmäßig Sport beziehungsweise mehr als Alltagsbewegung; in Schweden sind dies 67 Prozent der 20- bis 65-Jährigen respektive 55 Prozent über 65 Jahre. In Österreich haben wir auch ein West-Ost-Gefälle, was Bewegung, gesunde Lebensjahre und Lebenserwartung betrifft. Die Tiroler und Vorarlberger leben im Schnitt um drei Jahre länger und sind auch deutlich länger gesund. Eine Untersuchung des Hauptverbands hat ergeben, dass in Westösterreich um etwa 20 Prozent mehr körperliche Aktivität in allen Altersgruppen im Vergleich zu Ostösterreich zu beobachten ist.

Ich bin aber überzeugt, dass diese alarmierenden Fakten weder im einsetzenden Landtagswahlkampf im Burgenland noch bei der Wahl nächstes Jahr in Wien ein Thema sein werden.

. . . trotzdem geschieht nichts

Die Diskussion, ob die Finanzierung der Pflege durch eine Pflegeversicherung oder über Steuern erfolgen soll, ist sicher wichtig. Viel wichtiger wäre freilich, endlich Maßnahmen zu setzen, die die Pflegebedürftigkeit reduzieren. Es gibt vielfältige und seriöse Untersuchungen, wonach regelmäßige und gezielte Bewegung neben angepasstem Lebensstil uns gesünder alt werden lässt und auch weniger der Gefahr aussetzt, dass wir im Alter pflegebedürftig werden.

Aber trotzdem geschieht so gut wie nichts. Das zeigt allein die schon 20 Jahre alte, aber noch immer nicht umgesetzte Forderung nach der täglichen Turnstunde in der Schule. Ich glaube, ein wesentlicher Grund liegt darin, dass die hier skizzierten Anliegen nie durch ein potentes, politisch gut vernetztes charismatisches Regierungsmitglied vertreten worden sind.

Österreich benötigt im Sinne der Volksgesundheit ein Bewegungsministerium, das Zugriff auf Mittel der Sozialversicherung für die Prävention, für den Sportstättenbau, um die Sportausübung zu erleichtern, aber auch für den Spitzensport haben sollte. Ein erfolgreiches Fußballnationalteam oder Dominc Thiem sind als Vorbilder für eine allgemeine aktive Sport- und Bewegungsbegeisterung der Menschen unverzichtbar. Es sollte Aufgabe einer künftigen Regierung sein, solche Gedanken viel mehr als bisher in die Regierungsarbeit einfließen zu lassen.

Der Autor

Univ.-Prof. Dr. Ernst Wolner (*1939 in Wien) studierte Medizin an der Uni Wien. 1981 o. Prof. für Chirurgie, ab 1994 bis zur Emeritierung 2008 Vorstand der Abteilung Herz-Thorax-Chirurgie am AKH. War stellvertr. Vorsitzender des Wiener Landessanitätsrats, von 1996 bis 2004 Präsident des Obersten Sanitätsrats. Ehemaliger Präsident des Österr. Tennisverbands.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.11.2019)

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