Gastkommentar

Der Patriot gegen Präsident Donald Trump

(c) Peter Kufner
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Jene geknechteten Massen, die die Freiheit begehren, sind oft die wahren Patrioten. Sie sind traditionell die größte Stärke Amerikas. Denn sie verkörpern jene Art Loyalität, die am schwierigsten zu brechen ist.

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Es war ein außergewöhnliches Spektakel, wie Oberstleutnant Alexander Vindman, ein hochdekorierter Offizier der US-Streitkräfte, am 19. November im Amtsenthebungsverfahren gegen US-Präsident Donald Trump in Paradeuniform vor dem Geheimdienstausschuss des Repräsentantenhauses aussagte.

Vindman wusste, dass seine Aussage seine militärische Karriere ruinieren könnte. Doch sah es als seine Pflicht an, seiner Besorgnis über Präsident Trumps angeblichen Versuch, zur Förderung eigener politischer Interessen die nationalen Interessen der USA zu untergraben, Ausdruck zu verleihen.

Alle wichtigen US-Medien haben Trumps monatelanges Bemühen, den ukrainischen Präsidenten, Wolodymyr Selenskyj, zur Ankündigung einer strafrechtlichen Untersuchung von Trumps politischem Gegenspieler Joseph Biden und dessen Sohn Hunter zu bewegen, sowie die Auswirkungen dieser Bemühungen auf die US-Politik in der Region in erschöpfender, wenn auch häufig parteilicher Weise im Detail beschrieben.

Makellose Dienstakte

Was an Vindmans Zeugenaussage ungewöhnlich war, waren die Reaktionen auf diese Äußerung seines Patriotismus. „Als junger Mann“, so Vindman gegenüber dem Ausschuss, „entschloss ich mich, den Rest meines Lebens dem Dienst an dieser Nation zu widmen, die meiner Familie Zuflucht vor autoritärer Unterdrückung geboten hat. In den letzten 20 Jahren war es eine Ehre für mich, dieses großartige Land zu vertreten und zu schützen.“

Dies hätte Vindman angesichts der routinemäßigen Berufung der Republikaner auf die Liebe zu ihrem Land und ihrer Lobpreisungen militärischer Tapferkeit zu einem republikanischen Vorzeigehelden machen sollen. Er trägt noch immer Granatsplitter aus seinen Kampfeinsätzen im Irak im Körper. Doch waren es Republikaner, die ihn beleidigten, indem sie seine Loyalität in Zweifel zogen.

Vindman wurde als Kind jüdischer Eltern in der Ukraine geboren und zog im Alter von nur drei Jahren mit seinem Vater und seinen Brüdern in die USA. Der Rechtsberater der Republikaner aber unterstellte, dass er besondere Treue zur Ukraine empfände. Es fiel den Demokraten zu, Vindman für seine Dienste für die USA und die von ihm erbrachten Opfer zu danken. Die Gründe für diese profunden Unterschiede in den Äußerungen gegenüber einem Offizier mit makelloser Dienstakte waren natürlich politischer Art.

Die Republikaner versuchten, Trump gegen Anschuldigungen eines ein Amtsenthebung rechtfertigenden Fehlverhaltens in Schutz zu nehmen. Vindman untergrub diese Bemühungen, indem er die Anschuldigungen bestätigte.

Patriotische Inbrunst

Trotz der Bemühungen der Republikaner, Vindmans Treue zu den USA in Zweifel zu ziehen – eine gängige Angriffstaktik gegenüber Juden –, scheint sein Patriotismus außer Zweifel zu stehen. Er erinnerte mich an meinen Großvater mütterlicherseits, einen britischen Patrioten, der in London als Kind deutsch-jüdischer Einwanderer zur Welt kam. Obwohl er kein Berufssoldat war, meldete sich Bernard Schlesinger erstmals 1915 noch als Schüler und dann letztmals womöglich während der Kuba-Krise 1962, als man ihm freundlich mitteilen musste, dass er seine Treue zur Königin und zu seinem Land ausreichend unter Beweis gestellt habe, freiwillig für den Wehrdienst.

Der Grund für die patriotische Inbrunst meines Großvaters war nicht nur, dass er als Sohn jüdischer Einwanderer das Gefühl hatte, er müsse seine Treue unter Beweis stellen, weil diese sonst möglicherweise von Antisemiten infrage gestellt würde. Wie bei Vindman rührte sein Patriotismus zugleich von einem Gefühl der Dankbarkeit her. Großbritannien – sein Land – hatte ihm Sicherheit vor der Verfolgung durch die Nazis gewährt.

Stolz ja, aber Dankbarkeit?

Es gab auch in Großbritannien Antisemitismus: bestimmte Vereine, die sich weigerten, Juden aufzunehmen, Krankenhäuser, die keine jüdischen Praktikanten akzeptierten usw. Aber ich hörte nie, dass er sich darüber beklagte. Stattdessen empfand er außergewöhnliche Treue gegenüber den Institutionen, die ihn akzeptierten.

Jemandem, der seine Nationalität als selbstverständlich betrachtet würde die Art Dankbarkeit, die von Vindman und meinem Großvater zum Ausdruck gebracht wurde, nicht von Natur aus in den Sinn kommen. Wer nie Diskriminierung zu spüren bekam, empfindet sie womöglich sogar als leicht anstößig. Warum sollte man dankbar sein, einer bestimmten Nation anzugehören? Stolz vielleicht, aber dankbar?

Tatsächlich jedoch könnte ein auf Dankbarkeit basierender Patriotismus die stärkste Form des Patriotismus überhaupt sein. Man sollte Patriotismus aus Dankbarkeit nicht mit dem chauvinistischen Eifer verwechseln, den manche Angehörige nationaler Minderheiten oder Menschen aus Grenzregionen an den Tag legen: Napoleon aus Korsika, Hitler aus dem österreichischen Grenzland, Stalin aus Georgien. Einige der fanatischsten Nazis stammten aus deutschsprachigen Auslandsgebieten. Derartige Menschen sind weniger von Dankbarkeit beseelt als vom Wunsch nach Akzeptanz durch die Bevölkerungsmehrheit.

Die USA boten Vindmans Familie Zuflucht vor einem autoritären Regime. Ein stärkeres Band der Zugehörigkeit kann es nicht geben. Vindman glaubt noch immer, dass ihm trotz Verleumdungen und der vergifteten Atmosphäre in Trumps Washington „nichts passieren wird, weil er die Wahrheit sagt“.

Die täglich aufgezehrte Stärke

Die auf einer Tafel auf dem Sockel der Freiheitsstatue eingravierte Inschrift „Gebt mir eure Müden, eure Armen, eure geknechteten Massen, die frei zu atmen begehren“ wird oft zitiert, aber nicht immer richtig verstanden. Trumps wichtigster Berater in Einwanderungsfragen, Stephen Miller, der selbst einer Familie jüdischer Einwanderer entstammt, hat diese Worte, die aus dem Gedicht „Der neue Koloss“ von Emma Lazarus stammen, verächtlich gemacht.

Tatsächlich ist Lazarus' berühmtes Gedicht, im Idealfall, die Apotheose amerikanischer Werte. Jene geknechteten Massen, die die Freiheit begehren, sind die wahren Patrioten. Sie sind traditionell Amerikas größte Stärke, denn sie verkörpern jene Art Loyalität, die am schwierigsten zu brechen ist.

Wenn der Ansatz gegenüber müden, armen Flüchtlingen allerdings darin besteht, sie als Diebe, Mörder und Vergewaltiger zu verteufeln, sie einzusperren und von ihren Kindern zu trennen, wird diese unverbrüchliche Treue Feindseligkeit, Gewalt und sogar Terrorismus Platz machen. Infolgedessen wird die traditionelle Stärke der USA mit jedem Tag ein bisschen mehr aufgezehrt – bis nichts mehr übrig ist, nach dem man sich sehnen kann.

Aus dem Englischen von Jan Doolan, Copyright: Project Syndicate, 2019.

Der Autor

Ian Buruma (* 1951 in Den Haag) studierte chinesische Literatur in Leiden und japanischen Film in Tokio. 2003 wurde er Professor für Demokratie und Menschenrechte am Bard College in New York, 2008 mit dem Erasmus-Preis ausgezeichnet. Zahlreiche Publikationen; zuletzt ist von ihm in diesem Jahr erschienen:
„A Tokyo Romance: A Memoir“ (Penguin Press).

E-Mails an: debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.11.2019)

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