Simon Wiesenthal: Ex-Nazis, ihr Jäger – und ein Parteitag

ExNazis Jaeger ndash Parteitag
ExNazis Jaeger ndash Parteitag(c) APA (Jaeger Robert)
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Vor 40 Jahren schoss Simon Wiesenthal erstmals aus vollen Rohren gegen Bruno Kreisky. Der bittere Disput sollte 1975 in der „Affäre Peter – Wiesenthal – Kreisky“ gipfeln.

Wie ein fernes Wetterleuchten mutet die Presseaussendung Simon Wiesenthals vom 12.Juni 1970 an – vor vierzig Jahren schoss der 2005 verstorbene legendäre „Nazi-Jäger“ zum ersten Mal aus vollen Rohren gegen Bruno Kreisky. Was fünf Jahre später zu einer ernsten Krise des demokratischen Selbstverständnisses führen sollte, bahnte sich schon 1970 an: der öffentliche Widerstand des KZ-Überlebenden (und ÖVP-Sympathisanten) Ing. Simon Wiesenthal gegen ehemalige Nationalsozialisten in den Kabinetten Kreiskys und im öffentlichen Leben. Der bittere Disput sollte schließlich 1975 in der „Affäre Peter – Wiesenthal – Kreisky“ gipfeln, die für Kreisky und seine engsten Mitstreiter kein Ruhmesblatt darstellte.

Wiesenthal hatte nach dem Krieg zunächst in Linz ein Informationsbüro eingerichtet, das Material gegen frühere NSDAP- und SS-Amtsträger sammelte. Dann übersiedelte sein „Dokumentationszentrum des Bundes jüdischer Verfolgter des Nazi-Regimes“ nach Wien.

Als 1967 Bruno Kreisky SPÖ-Vorsitzender wurde, durfte sich Wiesenthal berechtigte Hoffnungen machen, was das Aufspüren noch lebender NS-Verbrecher betraf. Immerhin stammte Kreisky aus jüdischem Elternhaus, auch wenn er schon in jungen Jahren Agnostiker wurde. Die Hoffnung trog. Als Kreisky im April 1970 dem Nationalrat die Mitglieder seiner SP-Minderheitsregierung vorstellte, konnten die Journalisten zunächst völlig untadelige SPÖ-Lebensläufe nachlesen. Viele der handelnden Personen waren auch längst der Öffentlichkeit bekannt, der künftige Innenminister Rösch hatte sogar schon den Posten eines Staatssekretärs in der Großen Koalition bekleidet.

NS- und SS-Belastete

Es waren die katholische Wochenzeitschrift „Die Furche“ und wenig später auch die Grazer „Kleine Zeitung“, die berichteten, in Wien liefen Gerüchte über NS-Karrieren einiger Kreisky-Minister um. Die Beweise lieferte daraufhin Wiesenthals Büro: Innenminister Otto Rösch, Bautenminister Josef Moser, Verkehrsminister Erwin Frühbauer und Landwirtschaftsminister Johann Öllinger hatten eine NS-Vergangenheit.

Mehr noch: Öllinger, Verwalter der landwirtschaftlichen Betriebe der Stadt Klagenfurt, von LH Hans Sima empfohlen, war seit 1933 Mitglied der SA, gehörte ab 1937 der SS an, in der er es bis zum Untersturmführer (Unteroffizier) brachte. Nach einem Monat musste der Mann zurücktreten. Dass sein Nachfolger Oskar Weihs bis 1945 ebenfalls Nationalsozialist war, versinnbildlichte die aparte Variante innerösterreichischer Kontinuität.

Damit war die Sache aber nicht abgetan. Denn Kreiskys Unterrichtsminister Leopold Gratz, der zuvor SPÖ-Zentralsekretär war, stellte öffentlich die Frage „ob dieser Staat die private Feme-Organisation des Ing. Wiesenthal noch braucht“.

Die Bombe zum Parteitag

Und damit waren die Fronten abgesteckt, Wiesenthal schoss zurück. „Wir wollen hoffen“, schrieb der „Nazi-Jäger“ in einem offenen Brief, „dass Herr Minister Gratz sich nicht hinter seiner Immunität verschanzt und sich dem Gericht stellt.“ (Gratz war nebenbei auch Nationalratsabgeordneter.) „Wir sind hiefür bereit“, ließ Wiesenthal die Öffentlichkeit wissen, „ihm eine Auskunft zu geben, die er dringend benötigt. Er sagte nämlich, dass die Enthüllungen über sozialistische Nazi-Minister auf Geheimdienstmaterial beruhen. Wir versprechen ihm nachzuweisen, dass sozialistische Quellen in Österreich das Material für diese ,Enthüllungen‘ geliefert haben. Das Dokumentationszentrum hat seine Versprechen bisher immer gehalten...“

„Schon 1966“, hieß es weiter in dem brisanten Text, „hat das Dokumentationszentrum der österreichischen Regierung in einer umfangreichen Dokumentation Beweise für die Schuld vieler Österreicher an der großen Tragödie der Juden in Europa geliefert. In dieser Dokumentation haben wir nachgewiesen, wie viele hunderte Schuldige noch auf freiem Fuß sind, weil gegen sie seit zehn oder mehr Jahren Vorerhebungen wegen Mordes laufen, ohne dass etwas geschieht. Viele von diesen Leuten bekleiden offizielle Stellen in der Exekutive oder andere Staatsposten...“

Widerständler schwiegen

Wiesenthal hatte seine Sprenggranate sehr gezielt eingesetzt. Sie detonierte genau während des SPÖ-Parteitags in der Wiener Stadthalle, der eigentlich als Jubelfest nach dem historischen Kreisky-Wahlsieg vom 1.März 1970 orchestriert war. Dementsprechend erbittert war die Stimmung mancher Delegierter. „Ich warte ja nur auf den Tag“, tönte Leopold Gratz von der Rednertribüne ironisch, „an dem man versuchen wird, nachzuweisen, dass unser Parteivorsitzender der NSDAP angehört hat!“ Jene Genossen, die mit dieser Gangart überhaupt nicht einverstanden waren, schwiegen beschämt. Auch Rosa Jochmann, die große alte Dame der Antifaschisten, meldete sich aus falsch verstandener Parteiräson nicht zu Wort.

Die Sache lief den Organisatoren des Parteikonvents aus dem Ruder. Sie war umso peinlicher, als erstmals auch „bürgerliche“ Journalisten im Saal anwesend sein durften, worauf Kreisky zu Recht sehr stolz war.

Offene Attacke von Gratz

Und nun führte Gratz ungehindert und in aller Öffentlichkeit aus, dass zwischen Wiesenthal und der neonazistischen deutschen „Nationalzeitung“ ein Gleichklang herrsche, und dass sich Wiesenthal Polizeifunktionen anmaße. Die Wortwahl überrascht noch heute. Und man bekommt Mitleid mit den Redakteuren der „Arbeiter-Zeitung“, die diese Suada anderntags wortwörtlich abdrucken mussten.

Lediglich der sozialistische Freiheitskämpfer Josef Hindels sprach auf dem Parteitag das heikle Thema nochmals an. Der alte Hüter der reinen austromarxistischen Lehre wollte in der Kreisky-Ära ja nichts mehr werden und konnte daher freier sprechen: Der „Fall Öllinger“ sei eine sehr ernste Frage, gab er zu bedenken, „über die öffentlich diskutiert werden muss“.

„Hass gegen den Sozialismus“

Es wurde aber nicht. Nur Gratz replizierte nochmals als abtretender Zentralsekretär: Wiesenthal und die „Nationalzeitung“, bekräftigte er, griffen zur gleichen Zeit sozialistische Funktionäre an. „Beide sind sich einig im Hass gegen den Sozialismus!“

Anderntags wurde Bruno Kreisky vom Parteitag mit 97,23 Prozent der Stimmen als Parteivorsitzender bestätigt. Er ging in seiner Zusammenfassung aller Diskussionsbeiträge nur ganz kurz auf den Konflikt mit Wiesenthal ein. Und zwar äußerst moderat und versöhnlich: Wer Verbrechen begangen habe, „muss daraus die Konsequenzen ziehen. Bei den anderen aber soll man nicht zu katalogisieren beginnen.“ Die KZ-Überlebenden schwiegen auch hier. Sie wussten, dass die öffentliche Meinung so dachte, wie es Kreisky formulierte.

Die Altersklausel

Pikant war übrigens die Statutenänderung, die Kreisky durchsetzen konnte: Ab nun musste jeder Funktionär mit Ablauf des 66.Lebensjahres in Pension gehen. „Von der neuen Regelung können keine Ausnahmen gemacht werden“, sagte der Vorsitzende in einer anschließenden Pressekonferenz. Die Zielrichtung war klar: Dem Amtsvorgänger Bruno Pittermann sollte ein klares Limit als Klubchef gesetzt werden. Später, als sich der übermächtige Kreisky selbst dieser magischen Grenze näherte, machte die Partei für ihn natürlich eine Ausnahme.

„Keine Regierungspropaganda“

Eine zweite Pikanterie: Seine Regierung, versprach der Kanzler vollmundig, werde „keine Mittel der Steuerzahler für Plakate, für Annoncen und für Postwurfsendungen verwenden, die das Lob der Regierung weithin verkünden...“ Auch gegen jegliche Parteisubventierung sprach er sich aus: Einer Partei „mit mehr als 700.000Mitgliedern und zweieinviertel Millionen Wählern muss es möglich sein, diese Mittel aus Eigenem aufzubringen“.

Für den auf der Pressetribüne sitzenden ORF-Generalintendanten Gerd Bacher hatte Kreisky eine subtile Warnung parat: Natürlich werde sich seine Regierung strikt an das Rundfunkgesetz halten. Aber: „Ich bin der Meinung, dass wir nun ernstlich an eine Demokratisierung des Rundfunks herangehen sollten...“ Die Drohung saß, aber erst 1974 wurde der GI demontiert. Dass er zurückkehren würde, wer hätte das gedacht?

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.06.2010)

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