Mein Freitag

Mit bloßen Füßen auf dem Boden

Alle paar Minuten fragt jemand nach Geld, und man sagt schon recht routiniert Nein und dann noch einmal Nein, weil man nicht jedem etwas geben kann und weil einem ein paar schon als Teil einer organisierten Gruppe bekannt sind.

Trotzdem ist es ein Schwanken zwischen schlechtem Gewissen und Ärger.

Weiter weg vom Trubel sitzt ein Obdachloser auf dem Boden, seine bloßen Füße sind blaurot verschwollen. Die Temperaturen liegen unter null, die ersten Schneeflocken vorhin haben die Menschen auf dem Weihnachtsmarkt verzückt. Eine zynische Stimme sagt, dass er vielleicht mehr Geld bekommt, wenn er hier mit nackten Füßen sitzt, aber ist das nicht egal? Entsetzlich kalt muss das sein, wenn er überhaupt noch etwas spürt.

Ein paar Schüler bleiben stehen, fassungslos schauen sie auf seine Füße, und dann kaufen sie im Geschäft nebenan ein Paar Socken und geben es ihm, gemeinsam mit ein paar Münzen. Das Erste, was der Mann macht, ist, seine Nase in den Socken zu vergraben und tief einzuatmen. „Riecht gut“, sagt er. Die Socken, flauschig und weiß, in seiner Hand, sein Danke an die Buben, die verlegen sind, aber auch gerührt – das ist ein Bild, das man nicht vergisst.

Es gibt viele Menschen, die Hilfe brauchen, aus verschiedenen Gründen, und weil man überfordert ist zu unterscheiden, wo man wirklich helfen kann und wer es vielleicht weniger nötig hat, ist man dankbar dafür, dass es Vereine gibt, aber auch Einzelpersonen, die Großes auf die Beine stellen.

Am Abend wird der Oma in der Straßenbahn mit dem Anrempel-Trick das Geldbörsel aus der Tasche gestohlen. Der Schaffner in der Franz-Josef-Bahn hat sie danach ohne Karte fahren lassen und ein Fahrgast, der ihre Verzweiflung bemerkte, hat sie nach Hause geführt. Beide wollten kein großes Danke. Es ist, bei allen Enttäuschungen, ein Gedanke, an dem man festhält: Es gibt so viel mehr Menschen, die Gutes tun, als solche, die Böses tun, nur fällt es nicht so auf.

E-Mails an:friederike.leibl-buerger@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.12.2019)

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