Gastkommentar

30 verlorene Jahre für den Klimaschutz

(c) Peter Kufner
  • Drucken

Die erste große Klimakonferenz fand vor 31 Jahren in Toronto statt. Eine ganze Generation hat versagt, die Emissionsreduktion zu beginnen.

Gastkommentare und Beiträge von externen Autoren müssen nicht der Meinung der Redaktion entsprechen.

>>> Mehr aus der Rubrik „Gastkommentare“

Herbst 2019: Hochwasser in Venedig, Hangrutschungen in den Alpen, die bisher bewohnte Gebiete unbewohnbar machen: Sind das die Menetekel, die die Natur uns an die Wand malt? Ein Vergleich kann helfen, diese Frage zu beantworten.

Die Entwicklung der Menschheit lässt sich vergleichen mit einer Eisenbahnfahrt durch die Zeit. Die Schienen sind seit Jahrzehnten und für Jahrzehnte gelegt. Der Zug hat viele Waggons. Jeder Waggon symbolisiert ein Sachthema wie Bildung, Wirtschaft, Frauenrechte, Umwelt, Forschung, Digitalisierung usw. In jedem Waggon bemühen sich Menschen, in ihrem Sachgebiet die Entwicklung voranzutreiben, zu optimieren. Doch kaum jemand stellt  die Frage,  wohin die Reise geht, welche Kräfte den Zug antreiben. Die Antwort bezüglich der Antriebskräfte liegt auf der Hand: Es ist das fossil-atomare Energiesystem. Dieses deckt seit Jahrzehnten mehr als 80 Prozent des Energiebedarfs und sorgt damit im physikalischen Sinn für den Antrieb des Zuges.

Vor etwa 35 Jahren, in den 80er-Jahren des 20. Jahrhunderts, kamen zuerst in wissenschaftlichen Kreisen, dann in der Gesellschaft und Politik Zweifel auf, ob die Gleise richtig gelegt sind, die Antriebskräfte stimmen. Messergebnisse zeigten, dass der Gehalt an CO2 in der Atmosphäre rapid zu steigen begann. Naturwissenschaftler wiesen darauf hin, dass dies zu einer schrittweisen Erwärmung des Planeten führen würde mit unklaren Auswirkungen auf die Lebensbedingungen der Menschheit. Motiviert durch öffentliche Debatten griff die Politik das Thema auf und berief 1988 eine erste große Klimakonferenz in Toronto ein. Dort wurde beschlossen, dass die Industrieländer ihre CO2-Emissionen bis 2005 um 20 Prozent senken müssen, um die drohende Erderwärmung zu verhindern. Der Beschluss sah allerdings keine Sanktionen vor.

Dieser Beschluss bedeutete, dass für diese Eisenbahnfahrt ein neuer Gleiskörper mit einem neuen Antriebssystem ohne fossile Energieträger zu bauen ist. In den Augen vieler konnte diese neue Antriebskraft nicht die Atomenergie sein, sondern der Energiestrom, den die Sonne in verschwenderischer Fülle kontinuierlich auf die Erde schickt. Als die Industrieländer in Toronto tagten, war klar, dass diese Umstellung zumindest die Zeitspanne von zwei Generationen erfordern wird.

Toronto nicht ernst genommen

Doch was geschah in den 31 Jahren seit Toronto? Die Industrieländer haben ihre Beschlüsse nicht ernst genommen. Österreich zum Beispiel: Im Jahr 2005 waren die Emissionen um fast 50 Prozent höher als in Toronto beschlossen. Die Wissenschaft war alarmiert. So kam es 1997 zur Konferenz in Kyoto. Dort wurden wieder Reduktionsbeschlüsse für die Industrieländer gefasst, diesmal mit Sanktionen. Österreich hat auch diese nicht eingehalten, sondern Strafzahlungen in Form des Zukaufs von Emissionsrechten toleriert. Mittlerweile wurde erkannt, dass auch Entwicklungsländer ihre Emissionen drosseln müssen, nicht nur Industrieländer. Das führte nach langen Vorbereitungen 2015 zur Klimakonferenz von Paris, bei der sich alle 195 Länder der Welt verpflichteten, die Emissionen so stark zu senken, dass die Erwärmung auf 2° C beschränkt bleibt. Allerdings konnte sich die Staatengemeinschaft auf keine Sanktionen einigen, sondern setzte auf Eigenverantwortung der Mitgliedsländer, unterstützt durch einen umfangreichen Prozess des Monitorings.

Ungeheurer Zeitdruck

Seit Toronto sind 31 Jahre vergangen, seit Paris vier – und die Emissionen steigen immer noch weltweit, auch in Österreich. Das bedeutet, 30 verlorene Jahre für den Klimaschutz – eine ganze Generation hat versagt, die Zeit für die Reduktion der Emissionen zu nützen. Jetzt gibt es nur mehr wenig Zeit, neue Bahngeleise für die Eisenbahnfahrt angetrieben durch solare Energien zu legen. Ein Blick auf die Welt, auf Afrika, Asien, Nordamerika, Europa und eine Auswertung der wissenschaftlichen Erkenntnisse machen klar, dass Europa binnen 20 Jahren, also bis 2040, diese Kurswende hin zum solaren Antrieb vollziehen muss. Eine Fahrt, weiter angetrieben durch Öl, Gas und Kohle würde bedeuten, dass unser Zug in diesem Jahrhundert in eine Schlucht stürzt und damit unser Wirtschafts- und Gesellschaftssystem zusammenbricht. So weit der Vergleich.

Wegen dieser 30 verlorenen Jahre im Klimaschutz gibt es jetzt einen ungeheuren Zeitdruck. Denn weitgehender Ausstieg aus den fossilen Energien bis 2040 bedeutet konkret für Europa, für Österreich, dass jedes Jahr die Verwendung fossiler Energien um fünf Prozent zurückgehen, dass diese Umstellung zu einem Viertel  bis 2025 erfolgen muss.

Um das am Beispiel Österreich zu erläutern: Bis 2025 müssen die Emissionen um 20 Millionen Tonnen zurückgehen. Das kann nur gelingen, wenn bis 2025 die regenerative Stromerzeugung um zumindest 14 Milliarden Kilowattstunden gegenüber 2017 ausgebaut wird, zumindest 600.000 Wohneinheiten von Öl- und Gasheizungen auf erneuerbare Wärme umgebaut werden, zumindest 200.000 E- Autos auf unseren Straßen fahren,  wenn Tempolimits auf den Autobahnen herabgesetzt und streng kontrolliert werden. Das Schlüsselinstrument für diese Weichenstellung ist ein tief greifender ökologischer Steuerumbau, der Arbeit von der drückenden Besteuerung befreit, der Investitionen in Energieeffizienz und erneuerbare Energien wettbewerbsfähiger macht und fossile Treib- und Brennstoffe belastet.

So weit einige konkrete Schlussfolgerungen aus diesem Vergleich unserer Situation mit einer Eisenbahnfahrt durch die Zeit. Viele Menschen glauben, wir hätten noch Jahrzehnte Zeit für den Kurswechsel – das ist ein folgenschwerer Irrtum. Die Fahrt in den Abgrund können wir nur verhindern, wenn wir jetzt eine radikale Energiewende einleiten.

Kein Weiter-wie-bisher

So macht dieser Vergleich die Brisanz, die Wichtigkeit, aber auch die Schwierigkeiten der aktuellen Regierungsverhandlungen deutlich. Einsicht, Klugheit, Mut und Verantwortung sind die Haltungen, die diese Verhandlungen zu einem Erfolg führen. Ein Erfolg, der nicht nur für Österreich, sondern auch für Europa und damit die Welt insgesamt von entscheidender Bedeutung ist. Ein Weiter-wie-bisher darf es nicht geben. Dreißig Jahre Verzögerung durch verschiedene Lobbys sind mehr als genug. Das spürt auch die Jugend. Sie erkennt, dass es jetzt um historische Weichenstellungen geht. Sie fühlt, dass sich ohne Druck aus der Bevölkerung dieser Wandel nicht durchsetzen lässt. Sie sieht, dass beharrende Kräfte, die bei dem Aufbau eines neuen Energiesystems viel verlieren können, wenn sie sich nicht selbst an die Spitze der solaren Energierevolution setzen, erbitterten Widerstand leisten.

Wenn jetzt, 31 Jahre nach Toronto, das kommende Regierungsprogramm diesen Kurswechsel in der Klima- und Energiepolitik nicht brächte, dann würde das zeigen, dass wir die Zeichen der Natur, die Katastrophen der vergangenen Monate noch immer nicht gesehen haben.

Der Autor

Heinz Kopetz (* 1941) ist seit 2012 Vorsitzender des Weltbiomasseverbandes mit Sitz in Stockholm. Der Verband versteht sich als Sprachrohr der globalen Bioenergiebranche und tritt für den Umstieg auf erneuerbare Energiequellen ein. Er war langjähriger Vorsitzender des Österr. Biomasseverbandes und Präsident des Europäischen Biomasseverbandes.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.12.2019)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.