Gastkommentar

Der Beginn einer neuen Weltordnung

Irans Angriff auf den US-amerikanischen Stützpunkt im Irak markiert aus militärischer Sicht einen Wendepunkt.

Gastkommentare und Beiträge von externen Autoren müssen nicht der Meinung der Redaktion entsprechen.

>>> Mehr aus der Rubrik „Gastkommentare“

Mitte Jänner wurden wir Zeuge eines Ereignisses, welches Geschichte schreiben wird. Die mächtigsten Streitkräfte der Welt haben es zugelassen, dass einer ihrer wichtigsten Luftwaffenstützpunkte im Irak durch den Iran mit ballistischen Raketen zielgenau angegriffen wurde. Aus militärisch-strategischer Sicht kann dieser iranische Erfolg als Wendepunkt betrachtet werden. Die USA waren offensichtlich nicht in der Lage gewesen, trotz Vorwarnung des Iran, die einfliegenden Raketen abzuschießen.

In den internationalen Medien wird nun über ein Gesicht wahrendes Handeln von beiden Seiten spekuliert. In Wahrheit dürften die USA nicht auf diese iranische Reaktion vorbereitet gewesen sein. Es bleibt somit die Feststellung, dass es möglich ist, eine wichtige regionale Militärbasis der USA gezielt mit Raketen anzugreifen. Dies ist eine Zäsur in der Sicherheitspolitik. Sie wird die Welt nicht sicherer machen, denn Regime haben erkannt, dass es möglich ist, ungeniert regionale Machtpolitik zu betreiben. Über gesteuerte Hilfstruppen in den unmittelbaren Ländern der Umgebung.

Die USA werden diese Schmach des ertragenen Angriffs nicht auf sich sitzen lassen! Ähnlich wie es auch Israel tut, welches auf jede Bedrohung seines Staatsgebietes und seiner Bevölkerung umfangreich reagiert. Sei es durch den Einsatz von Raketenabwehrsystemen, durch den Einsatz seiner Luftstreitkräfte oder gar durch gezielte präventive Cyberverteidigung. Wie im Februar 2018, als eine iranische, mit Sprengstoff beladene Drohne in den israelischen Luftraum einflog. Israel reagierte sofort und verlor dabei sogar, das erste Mal seit 1982, ein eigenes Kampfflugzeug.

Man kann nun darüber diskutieren, wer zu welcher Zeit des Konflikts zwischen den USA und dem Iran welche Reaktion gesetzt hat, ob es legitim ist, dass der Iran ein eigenes Atomprogramm hat oder nicht, ob es rechtens ist, dass die USA Militärbasen im Irak unterhalten, warum man überhaupt 2003 dort einmarschiert ist und ob nicht alles eigentlich der Wiederwahl des derzeitigen Präsidenten dienen soll! Die Hauptnachricht aber, welche in weiten Teilen der Welt genau gehört wurde, welche in russischen und chinesischen, aber auch in europäischen militärischen Hauptquartieren aufmerksam notiert wurde, ist: Die Vereinigten Staaten von Amerika sind nicht unangreifbar.
Die ersten Opfer in diesem neuen „freien Spiel der Kräfte“, sind aber Unbeteiligte wie die Besatzung und die Passagiere des abgeschossenen ukrainischen Airliners. Sie wurden Opfer in einem Konflikt, wo die Grenzen zwischen sicherem Abwägen und Entscheiden auf der einen und fehlerhaftem Handeln auf der anderen Seite verschwommen sind. Wo das internationale Recht, und hier vor allem das Recht „zum“ und „im“ Krieg, niemanden mehr interessiert.

Hallo, neue Weltordnung!

Willkommen also in der neuen Weltordnung des 21. Jahrhunderts. Sie wird es auch von uns in Europa verlangen, Bekenntnis abzulegen zu den tatsächlichen Zielen und Absichten einer vorausschauenden Sicherheitspolitik. Das bloße Aufrufen zur Räson wird zu wenig sein. Das Kriegsbeil auszugraben, ebenfalls. Ein ernsthaftes Auseinandersetzen mit den geopolitischen Entwicklungen kann ein Anfang sein. In der Sicherheitspolitik haben lokale Ereignisse oft globale Folgen. Dies sollte man nicht nur in Brüssel, sondern auch in Wien verstehen. Denn auch ein Cyberangriff könnte bald schlimmere Folgen haben als ein paar halbherzige Pressemeldungen.

Markus Reisner, PhD (* 1978) ist Oberstleutnant des Generalstabsdienstes & Offizier des Bundesheeres, Studium der Geschichte und Rechtswiss. an der Uni Wien.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.