Gastkommentar

Kulturgutrückgabe als moderner Ablasshandel

(c) Peter Kufner
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Durch Rückstellung belasteter Kultgegenstände sollen Geister der Vergangenheit gebannt, Probleme von heute gelöst werden.

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Aggressiver Moralismus ist das Überdruckventil für das schlechte Gewissen unserer hohlen Konsum- und Eventgesellschaft.

„Scheinheiligkeit“ zeigt sich dabei leider auch in der Dauerdebatte um die Rückstellung von Museumsobjekten afrikanischer Provenienz. Zuletzt wollten die Neos mit einer parlamentarischen Anfrage „kolonialzeitliche Museumsgegenstände“ zum kulturpolitischen Problem machen.
Nicht nur der Zahlen- und Statistikfetischismus unserer Zeit dient der Komplexitätsreduktion, auch das Moralisieren von Problemen ist eine „Serviceleistung für Dumme“ (Norbert Bolz). Der Kulturbetrieb bleibt von der herrschenden „Tyrannei der Werte“ selbstverständlich nicht unberührt. Wer nicht das benebelnde Weihrauchfass der Kunst schwingen kann, stellt gern die eigene Moralität zur Schau. Technik- und Naturkundemuseen sind vom Gut-sein-Müssen weitgehend befreit. Aber alle Anstalten, in denen man das Minenfeld menschlicher Vergangenheit betritt, tun sich schwer, ihr altes Geschäftsmodell fortzuführen. Selbst das Wiener Volkskundemuseum wirbt nicht mit Bauernstube und Waffeleisen, sondern mit Migration und Holocaust.

Achtung, Geschichte!

Dass der friedenssatte EU-Europäer den Militärmuseen mit Skepsis zu begegnen hat, weiß man schon längst auch in Österreich. Nur in wenigen Ländern funktionieren militärhistorische Museen heute noch als Nationalmuseen. Die vergangenheitspolitische Bruchlinie, die Europa durchzieht, zeichnet sich auch in der Museumslandschaft ab.
Geschichtskranke Nationen und Gemeinschaften ohne belastbares Zusammengehörigkeitsgefühl betreiben „Häuser der Geschichte“, die mit Mitteln der Geschichtspädagogik bestimmte Sichtweisen durchzusetzen oder fehlende Loyalitäten herzustellen versuchen. Dass sich diese Hinterglasgeschichte gern gegen die uns umgebende Allgegenwart von Vergangenheit abgrenzt, ist kein Wunder. Historischer Ethikunterricht als „Politische Bildung“ will keine Fragen stellen, sondern er will die verlangten Antworten liefern.

Ungleich spannender sind die deklarierten „Unrechtsmuseen“ der USA, die mit dem Holocaust, der Ausrottung der Ureinwohner und der Unterdrückungsgeschichte der Black Americans abrechnen. Eine vergleichbare Rolle wird in unseren Breitengraden derzeit den ehemaligen Völkerkundemuseen zugemutet.

Seit wahre Kulturmenschen nicht mehr als patriotisch hochgerüstete Staatsbürger ins Nationalmuseum, sondern als multikulturell befriedete Weltbürger ins „Weltmuseum“ gehen, erleben die ethnografischen Sammlungen einen ungeahnten Höhenflug. Dass sich der exotische Objektzauber indigener Kulturleistungen fast vollständig verflüchtigt hat, weil die Artefakte nur noch als schuld- und blutbefleckte „Raubkunst“ interessieren, tut der neuen Attraktivität dieses früher eher randständigen Museumstyps keinen Abbruch. Im Gegenteil: Als postkoloniale Selbstgeißelungsstätten werden die ethnologischen Museen derzeit offensichtlich zu Brennpunkten des abendländischen Kultur-Burn-outs.

Dank der Universalisierung des Holocaust zu einer Metapher für Schuld und Verbrechen wetteifern heute Kolonialismus und Sklavenhandel offensiv mit der Auslöschung des europäischen Judentums um die Spitzenplätze auf der langen Liste der Genozide. Afrika sieht sich durch diese Parallelisierung endlich mit einem tragfähigen Klagstitel ausgestattet.

Restitutionsforderungen ehemaliger Kolonien (beziehungsweise ihre übereifrige Vorwegnahme durch Kulturverantwortliche und Museumsleiter) lösen jetzt umso gewaltigere Schockwellen des schlechten Gewissens aus, als die elitäre Kulturraubdebatte von der für beide Kontinente existenziellen „Migrationskrise“ nicht mehr zu trennen und daher kaum noch emotionslos zu führen ist.

Schrumpfköpfe und Mumien

Nur noch selten wird die Sammel- und Forschungsleistung der Ethnologie gewürdigt. Meistens wird auch übersehen, dass sämtliche neuzeitlichen Museen ursprünglich Obdachlosenheime für funktions- und heimatlos Gewordenes waren und außerdem „Kulturguttransfer“ regelmäßig unter schiefen Machtverhältnissen, in Kriegen oder in wirtschaftlichen Notlagen, erfolgte.

Entweihung und Entfremdung stehen gleichsam am Beginn von Musealisierung; Kunst hat regelmäßig Migrationshintergrund. Innerhalb Europas sind daher eine Infragestellung des nationalen Kulturbesitzstandes und die Rückführung von Kunstgegenständen in deren Ursprungsländer nicht vorstellbar. Im „Unrechtskontext“ des Kolonialismus allerdings verlieren solche Entschuld(ig)ungsversuche schlagartig an Überzeugungskraft. Wer für Schrumpfköpfe und andere fremdkulturelle „human remains“ besondere Sensibilität einmahnt, muss sich noch lang nicht über den „Narrenturm“ oder die pietätlose Zurschaustellung von Mumien in muffigen Kirchengrüften erregen.

Das deutsche Virus

Wieder einmal begann das Unglück in Deutschland. In einem wahren Meisterstreich der „Globalisierung deutscher Gewaltgeschichte“ erhebt man dort mittlerweile den Anspruch, auch die verbrecherischste aller europäischen Kolonialmächte gewesen zu sein.

Der Streit um das Berliner Humboldt-Forum und seine völkerkundlichen Sammlungen eskalierte rasch und infizierte über unglückliche personelle Brücken auch das krisengeschüttelte Frankreich mit dem Virus der deutschen Vergangenheitspsychose.

Im November 2017 versprach Emmanuel Macron, der im Wahlkampf mit Zweifeln an der Existenz einer französischen Kultur aufhorchen ließ und der die Kolonialpolitik seines Landes offen als Menschheitsverbrechen anprangert, die Befreiung afrikanischer Kunst aus ihren „französischen Gefängnissen“. Bei der Eröffnung der megalomanischen Franchise-Filiale des Louvre in Abu Dhabi aber, einer verstörenden Anhäufung entwurzelter und kontextbefreiter Trophäenkunst für Milliardäre, fand Macron kein kritisches Wort.

Symbolpolitik bedient sich gerne im kulturellen Warenlager. Einst haben sich Staatenlenker nur entschuldigt. Nun vermeint eine in der „Tradition der Traditionslosigkeit“ groß gewordene Generation durch die kostensparende Auslieferung von „belasteten“ Kult- und Kunstgegenständen die Geister der Vergangenheit bannen und sogar die Probleme der Gegenwart lindern zu können.

Unter dem Büßergewand

Allerdings ertrinken die Kinder Afrikas nicht im Mittelmeer, weil sie in Paris das entführte Kunsthandwerk ihrer Ahnen besichtigen wollen. Immer noch lugt unter dem hastig übergeworfenen Büßergewand des Westens die alte Kolonialuniform hervor.

Gut wähnen darf sich heute nur noch, wer sich schlecht fühlt. In Wahrheit ist kultureller Selbsthass Kennzeichen einer zivilisatorischen Endausbaustufe, die sich in unproduktiver Selbstbespiegelung und eitler Gewissenswellness erschöpft.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

DER AUTOR

Dr. Michael Hochedlinger (* 1967) ist Historiker. 2007 erhielt er für Verdienste um die französische Kultur den Orden Palmes Académiques. Veröffentlichungen zum Thema: „Geschichtsvernutzung im Zeitalter von Kulturkapitalismus und Moralismus“ (2016) und „Fake History. Geschichte hinter Glas“ (2018).

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