Zeichen der Zeit

Februar 1934: Der Doppelmord in der Ruthnergasse

Zwei Schüsse, zwei Tote und ein Täter, der auf die Frage nach Reue nichts sagen will. Unter normalen Umständen hätte Richard Groß wohl nie einen Menschen erschossen. Es war aber Bürgerkrieg in Wien. Protokoll einer Tat.

Mittwoch, den 14. Februar 1934, herrschte sonniges Wetter in Wien, am Morgen noch etwas verhangen und frostig, ab Mittag klar und vergleichsweise warm. Am Montag war, ausgehend von Linz, in einigen Bezirken der Stadt ein Aufstand des Republikanischen Schutzbundes ausgebrochen, der sich am Dienstag auf die transdanubischen Stadtteile ausgebreitet hatte. Nun aber zeichnete sich bereits das Ende des Aufstandes ab. Starke, gut gerüstete Einheiten des Bundesheeres, der Heimwehren und der Polizei rückten ab den frühen Morgenstunden von allen Seiten auf Floridsdorf vor. Dieser Übermacht hatten die Aufständischen nichts mehr entgegenzusetzen. Sie räumten unter hinhaltendem Widerstand ihre Stellungen. Hunderte sammelten sich im Gaswerk Leopoldau und im Goethehof in Kaisermühlen. Manche versuchten, sich ins Ausland durchzuschlagen, andere tauchten unter oder gingen einfach nach Hause, als sei nichts gewesen.

An jenem Mittwochvormittag langte bei der Polizei eine Anzeige ein: In der Ruthnergasse habe sich ein Doppelmord zugetragen. Dort, in der abgelegenen Gasse, liegt der Friedhof der jüdischen Gemeinde von Floridsdorf, ein schmaler Streifen grünen Landes, halb verloren zwischen Bahndamm, Fabrikhallen, Brachflächen und Kleingärten. Direkt an die Friedhofsmauer grenzen ein paar kleine, ärmliche Häuser. Im Haus Nummer 24, das heute nicht mehr steht, war die Tat geschehen. Es gehörte der 44-jährigen Ludmilla Menzler, die hier mit ihrem Ehemann, dem 51-jährigen Johann Menzler, wohnte. Er Straßenbahnschaffner, sie Besitzerin eines kleinen Lebensmittelstandes.

Nach dem Mord an Frau Menzler lief die Bedienerin ins Schlafzimmer zu Herrn Menzler und sprang aus dem Fenster. Tatort-Skizze der Polizei.
Nach dem Mord an Frau Menzler lief die Bedienerin ins Schlafzimmer zu Herrn Menzler und sprang aus dem Fenster. Tatort-Skizze der Polizei.Wiener Stadt- und Landesarchiv

Die Polizei hatte es nicht sehr eilig, zum Tatort zu gelangen. Die Verhältnisse in der Umgebung, wo noch an allen Ecken geschossen wurde, waren nicht danach. Erst einen vollen Tag später, am Donnerstagvormittag, traf die Mordkommission in der Ruthnergasse ein. Die Leiche der Ludmilla Menzler lag in der Küche. Der Hinterkopf wies eine klaffende Wunde auf. Johann Menzler fanden die Kriminalbeamten im Schlafzimmer halb auf dem Bett, in die Knie gesunken, neben sich die Tuchent, die er in Todesangst vor das Gesicht gepresst hatte. Darin ein dunkel umrandetes Loch. Kästen und Läden waren durchwühlt, Kleider, Wäsche und Wertgegenstände fehlten. Alles ließ auf einen Raubmord schließen. Allein, es erwies sich bald, dass die Wohnung nicht vom Mörder, sondern von Angehörigen der Opfer – denselben, die den Mord zur Anzeige gebracht hatten – geplündert worden war. Lang vor dem Eintreffen der Polizei hatten sie alles, was ihnen brauchbar schien, per Handwagen abtransportiert. Hernach waren sie zum Verkaufsstand von Ludmilla Menzler gezogen, um die Lebensmittel wegzuschaffen.

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