Gastkommentar

Prinzip Hoffnung und Geldgeschenke

Großbritanniens Schicksal steht nach dem Brexit in den Sternen. Jenes der EU ist hingegen bereits besiegelt.

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Es ist vollbracht. Der ewige Störenfried Großbritannien konnte erfolgreich aus der Union hinauseskortiert werden. Man ist wieder unter sich. Dabei war Großbritannien anfänglich auch um EU-Kontinuität bemüht. David Cameron, einstiger britischer Premierminister, versuchte in seiner fatalen Bloomberg-Rede, interne Streitigkeiten bei den Tories durch eine Ankündigung eines EU-Referendums zu beenden. Der Schuss ging nach hinten los.

Als ihn sein damaliger Berater Craig Oliver fragte, ob es einen guten Grund gäbe, diese Volksbefragung nicht abzuhalten, entgegnete Cameron: „Es könnten Dämonen von der Leine gelassen werden, die man noch nicht kennt.“ Diese kamen tatsächlich in Form zahlreicher manipulativer „Vote Leave“ oder „Vote Remain“ Initiativen.

Die Quelle des Unheils speist sich jedoch aus einer EU, die immer nur dann von Reformen spricht, wenn gerade der Hut brennt – eine Art „institutionelle Sklerose“ (Mancur Olson). Unfähig zur Selbsterneuerung, inmitten globaler Herausforderungen hat es Brüssel im Namen seiner „Harmonisierungsbestrebungen“ geschafft, sich seines dritten Standbeins neben Deutschland und Frankreich zu entledigen. Moskau ist zufrieden.

Abschied vom Liberalismus

Das Vereinigte Königreich symbolisierte innerhalb der Union wie sonst kein Mitglied den internationalen Freihandel. Für die EU also ein Dorn im Auge des Systems, ein Ärgernis, das es zu zähmen galt. Den Briten widerstrebte der Traum eines molochartigen europäischen Superstaats. Waren sie deswegen per se europafeindlich? Von wegen!

Den Anfang machte damals der frühere Präsident der EU-Kommission Jacques Delors mit seiner Forderung paneuropäischer Sozialrechte. Aus einer handlungs- und schlagfertigen Wirtschaftsgemeinschaft wuchs allmählich ein ideologisch getriebenes Megaprojekt dessen Appetit stets größer war als dessen Konsolidierungsvermögen. Die Qualität der Kooperationsbereitschaft der Mitglieder spiegelte sich nicht in der wachsenden Zahl zwangsbeglückender EU-Direktiven.

Gestörtes Gleichgewicht

Eine ernstzunehmende europäische Außenpolitik konnte sich bis heute nicht etablieren. Deutschland kann, aber will keine umfassende Verantwortung übernehmen; Frankreichs Grand Nation Ambitionen finden keine Gegenliebe. Die EU schafft es bis heute nicht, sichere Grenzen mit einer einheitlichen wie menschenwürdigen Einwanderungs- und Flüchtlingspolitik zu verbinden. Eine offensichtlich dysfunktionale Gemeinschaft, deren einzige außenpolitische Handlungsmaxime auf Hoffnung und Geldgeschenken beruht.

Doch das schwache Auftreten nach außen spiegelt nur die innere Zerrissenheit wider. Mit dem Abgang Großbritanniens gerät das kontinental-europäische Gleichgewicht der Mächte ins Wanken. Als Mitglied der EU konnte Großbritannien noch deutsch-französische Dissonanzen zum Wohl der Gemeinschaft austarieren.

Ob es seine seit dem 17. Jahrhundert verfolgte „Balance of Power“ Politik auch zukünftig im Sinne der EU betreiben wird, darf bezweifelt werden. Großbritanniens sicherheitspolitische Bedeutung für Europa kann nicht genug betont werden.

Steven Erlanger, Europakorrespondent der „New York Times“ meinte in der US-Zeitschrift „Foreign Affairs“: „Der Brexit ist nicht nur ein Schlag für die Realität und den Einfluss der EU angesichts der Größe und der militärischen Bedeutung des Vereinigten Königreichs, sondern auch für die Idee seiner Unvermeidlichkeit und Beständigkeit.“

Oliver Cyrus ist Publizist und schreibt regelmäßig zu Themen der Außen-, Gesellschafts- und Kulturpolitik.


E-Mails an:debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.02.2020)

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