Pizzicato

Der gefürchtete Euro-Winter

In den 1990er-Jahren war in Russland Europäisches sehr modern.

Als „Euro-Reparatur“ bezeichnete man die grundlegende und qualitativ hochwertige Renovierung einer Wohnung. Mit dem Zusatz „Kleider aus Europa“ motzten Second-Hand-Läden ihre abgetragene Ware auf. Egal, wohin man das Wörtchen „Jewro“ auch setzte, es machte das Bezeichnete ungefähr zehnmal wertvoller.

Doch die Zeiten haben sich geändert. Heute entsteht in Russland mitunter der Eindruck, dass alles Schlechte aus dem Westen kommt: der bedrohliche Verfall der Sitten, der schlimme Feminismus, politische Korrektheit und Homosexualität (genial-grotesk ausgedrückt in der Verballhornung Gayropa), und so weiter und so fort. Dass nun der bis dato außergewöhnlich milde Winter als „Jewro-Zima“ – also Euro-Winter – in die Geschichte eingeht, wird bestimmt nicht dazu beitragen, den schlechten Ruf des Alten Kontinents zu verbessern. Auch wenn die Stadtverwaltung Unmengen des aggressiven Streusalzes einspart und man in leichten Jacken durch Moskau flaniert, die Russen sind beunruhigt: Wenn es nicht einmal mehr hier einen echten Winter mit Temperaturen weit unter null Grad gibt, dann steht die Welt bestimmt nicht mehr lang!

Seit zwei Tagen schneit es übrigens wie verrückt. Womöglich kommt der russische Winter ja doch noch zurück. (som)

Reaktionen an: jutta.sommerbauer@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.02.2020)

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