Gastkommentar

Kogler und Co. im Schatten des Kanzlers

(c) Peter Kufner
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Die Grünen sind in eine Zwickmühle geraten. Sie sind zur klaren Unterscheidung vom Koalitionspartner förmlich gezwungen.

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Die Flitterwochen sind Erinnerung. Die Tage, an denen die Frischvermählten zur Freude der Kameramänner und Fotoreporter in Pflegeheimen, Polizeistationen oder Backstuben einander zulächelten und eine fröhliche Klassenfahrt zur ersten Regierungsklausur unternahmen, sind vorüber. Die Gesichter des türkisen Kanzlers und seines grünen Vizes werden ernster.

Beim Möblieren der gemeinsamen politischen Wohnung beginnt es sich bereits da und dort zu spießen. Dabei ist es noch gar nicht lang her, seit der rundliche Grüne mit dem salopp aus der Hose quellenden Hemd von einer zehnjährigen Ehe mit seinem mächtigen Regierungspartner träumte.
Als der zufrieden schmunzelnde Bundespräsident dann die standesamtliche Trauung in der Hofburg vornahm, spendeten die Medien aufmunternden Applaus und orakelten: „Wenn die, die oben stehen, einander mögen, dann passt es auch mit dem Gefolge.“ Mittlerweile beginnt der Zweifel zu nagen, ob das wirklich zutrifft. Vor allem die Harmonie zwischen den Fußvölkern der beiden Parteien gibt zu denken.

Divergierende Gefühlswelten

Die demoskopischen Archive sind überreich an Belegen für die oft schroffen Unterschiede zwischen der türkisen und grünen Wählerschaft. Die Anhänger beider Parteien verkörpern unter ungewöhnlich vielen Messkriterien total divergente Gefühlswelten und Denkmuster.
Den politischen Markenkern der Volkspartei kennzeichnen marktwirtschaftliches Denken, Privateigentum, Selbstständigkeit, solide Staatsfinanzen, ein bürgerlich-konservatives Familienbild, hierarchisches Empfinden, christliche Grundhaltung, Heimatbezogenheit inmitten europäischer Freundschaft sowie der ausgeprägte Wunsch nach Sicherheit und Stabilität. Dazu gesellt sich ein starkes Unbehagen an allzu vielen Veränderungen. Das Denken und Fühlen der ÖVP-Wähler entspricht alles in allem einer mehrheitlich älteren, ländlicheren und gesetzteren Bevölkerung.

Fundamental anders ist das Bild der Grünen. Deren Wesensmerkmale bestehen – abgesehen von der Umweltgesinnung – in einer ausgeprägten Neigung zu unbürgerlicher Lebensweise: Patchwork-Partnerschaften, Abkehr vom traditionellen Familienbild und von nationalen Traditionen. Gegensätzlich zur ÖVP ist vor allem der Wunsch zur Umformung der Gesellschaft in ein buntes Nebeneinander von Ethnien, Sprachen, Religionen und Sitten sowie ein geringer Gefallen an strengen Ordnungsprinzipien.

Demografisch betrachtet, haben die Grünen disproportional hohe Anteile an jüngeren Personen, Gebildeten, urbanen Schichten und Frauen. Das Weltbild der Grünen wirkt unausgeformt. Es besteht aus einem irrationalen Doppelbekenntnis zu utopischen Gleichheitsidealen und marktwirtschaftlichen Wettbewerbsregeln.

ÖVP und Grüne bewegen – entgegen allen Versuchen von Medien und Auguren, dies zu verwischen – letztlich ganz und gar unterschiedliche Empfindungen und Absichten. Es ist auszuschließen, dass sich derart tiefgreifende Unterschiede in einer gemeinsamen Regierung harmonisieren lassen.

In der Praxis werden die Koalitionäre immer wieder auf Probleme stoßen, die mit weltanschaulichen Grundsätzen behaftet sind. Immer wieder wird einer der beiden Partner gezwungen sein, ideologische Bastionen zu Lasten seiner Anhänger aufzugeben.

ÖVP hat bessere Karten

Die ÖVP hat dabei aus mehreren Perspektiven die besseren Karten. Erstens ist es für eine Partei schon deshalb ein Vorteil, den Kanzler zu stellen, weil die Bevölkerung eine Regierung als ein Unternehmen sieht. Der Kanzler ist darin der Generaldirektor, die Minister sind leitende Angestellte. Sie haben zu tun, was der Boss anschafft. Abweichendes Verhalten der Führungskräfte erweckt den Verdacht der Illoyalität und Unrechtmäßigkeit. Unter diesen Umständen hat es der kleinere Koalitionspartner in jeder Regierung grundsätzlich schwer, ein eigenes Profil zu wahren.

Zweitens besitzt die ÖVP in Sebastian Kurz die bei allen öffentlichen Anlässen spürbar werdende stärkere und souveränere Persönlichkeit. Bei gemeinsamen Auftritten wirkt der um rund 25 Jahre jüngere Kurz eher wie der Vater, der seinen noch linkischen Sohn behutsam durch die ersten Klippen des Leben manövriert.

Kurz hat überdies den Vorzug der guten äußeren Erscheinung und des klaren Artikulierens. Er vermittelt den Eindruck, über den Dingen zu stehen, und er besitzt das Flair der Weltläufigkeit und internationalen Bedeutsamkeit. Kurz redet vor der UNO, parliert in New York, Paris, Berlin und wirkt dabei auf Augenhöhe mit den Mächtigen der Zeit.

Für Mitleid gibt's Höchststrafe

Kogler dagegen murmelt seine Botschaften im heimischen Milieu, wirkt dabei durchschnittlich und gerät immer mehr in den Schatten des Kanzlers. Eine für ihn fatale Situation, denn über jeglicher Entscheidung – egal ob beim Einkauf von Gemüse oder bei der Wahl des Arbeitsplatzes – schwebt wie ein Damoklesschwert der Vergleich. Auch Politiker sind auf Gedeih und Verderb der Frage ausgeliefert: Wer ist der für mich Bessere, Durchsetzungsfähigere und letztlich Nützlichere?

In die momentane Einschätzung des Grünen-Chefs schleicht sich allmählich ein Anflug des Bedauerns. Das aber ist so ziemlich das Schlimmste, was einem Spitzenpolitiker passieren kann. Mitleid zieht die Höchststrafe der politischen Kommunikationswirkung nach sich, denn es ist verschwistert mit der Vorstellung von Kraftlosigkeit, geringem Gestaltungsvermögen und damit von Nutzlosigkeit. Es mündet folglich in Missachtung.

Vom zerstörerischen Mitleidseffekt bedroht ist im übrigen auch die SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner. Ihr sie überstrahlender Stern heißt Hans Peter Doskozil. Was die Persönlichkeitswirkung betrifft, fällt sie im politischen Wettkampf umso stärker ins Gewicht, je ähnlicher die Parteien einander sind und je weniger sie in ihren Zielsetzungen voneinander unterschieden werden können.

Wehe der Partei, die dem Regierungspartner inhaltlich zu ähneln beginnt und den unattraktiveren Anführer hat! Die Grünen sind somit in eine Zwickmühle geraten. Sie sind zur klaren Unterscheidung vom Koalitionspartner förmlich gezwungen, wenngleich sie den schwächeren Leitwolf besitzen.

Auf Kurs rechts der Mitte?

Die genannten Umstände verdichten die Annahme, dass den Grünen eine Zerreißprobe bevorsteht, die sie an den Rand einer Existenzkrise treiben wird. Kurz hat jedenfalls keinen Grund, seinem Koalitionspartner allzu weit entgegenzukommen, sondern könnte im Prinzip (vor allem in der Migrationspolitik sowie bei Fragen der öffentlichen Sicherheit und artverwandten Problemen) eine harte Linie durchziehen. Er könnte klar erkennbar rechts der Mitte bleiben.
Wird er es auch weiterhin tun? Vom Ja oder Nein auf diese Frage wird auch das künftige Auf oder Ab der ÖVP abhängen.

DER AUTOR

Andreas Kirschhofer-Bozenhardt war Journalist in Linz, ehe er 1964 in die empirische Sozialforschung wechselte. Er war Mitarbeiter am Institut für Demoskopie Allensbach. Ab 1972 Aufbau des Instituts für Markt- und Sozialanalysen (Imas) in Linz.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

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