Deutschland - England: Das Duell der Lieblingsfeinde

grosse Duell beiden Lieblingsfeinde
grosse Duell beiden Lieblingsfeinde(c) APA (Dpa)
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Immer wenn England auf Deutschland trifft, packen englische Medien die Kriegsrhetorik aus. Seit 1966 gingen "ze Krauts" bei WM-Spielen immer als Sieger vom Feld.

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Nur wenige Minuten, nachdem feststand, dass England im Achtelfinale der Fußball-WM gegen Deutschland spielen wird, machte der erste Witz die Runde: „Diese WM ist wie der Zweite Weltkrieg: Die Franzosen kapitulieren als Erste, die Amerikaner kommen spät, und an uns Engländern liegt es wieder einmal, die verdammten Deutschen zu stoppen.“ Wenn es um Fußball geht, ist die Schicht der Zivilisation tatsächlich dünn, wie ausgerechnet der deutsche Lyriker Günter Kunert einmal sagte.

Ein Spiel gegen Deutschland beflügelt vor allem die englische Boulevardpresse scheinbar unvermeidlich zu besonderen Stilblüten. Wenn eine Auseinandersetzung gegen „ze Krauts“ bevorsteht, kann keine Zeitung der Verlockung widerstehen, ein paar deutsche Worte in ihre Titel einzubauen: „Herr we go again“, verkündete die „Sun“, die Mutter aller Revolverblätter. Doch selbst die noble „Times“ schrieb: „Actung! Donner und Blitzen!“ (Einen deutschsprachigen Korrektor kann man sich offenbar nicht leisten.)

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Krieg als Lieblingssujet. Zuverlässig wie Big Ben Mitternacht schlägt, wird jedes Fußballspiel gegen Deutschland in England aus der Warte des Krieges betrachtet, und unausweichlich ist von „the Blitz“ die Rede. Zwei Weltkriege trugen die beiden Länder gegeneinander aus, und für die Engländer bleibt es ihre „finest hour“ (Winston Churchill). In den Jahrzehnten nach dem Krieg hielten ungezählte Kriegsfilme die Erinnerung wach, in denen böse Deutsche in schrecklichem Akzent Sätze wie: „I will kill ze Schweinhund“ sprachen und die Engländer sich als die guten Sieger so richtig gut fühlen durften.

Da ist es wohl kein Zufall, dass das Kriegsthema bald zum Lieblingssujet der Komiker wurde. Unübertroffen bleibt die Folge aus der Serie „Fawlty Towers“, in der John Cleese als mürrischer Besitzer einer Bed-and-Breakfast-Pension deutsche Touristen empfängt und in wenigen Augenblicken einen Streit über den Krieg vom Zaun bricht: „Sie haben angefangen!“ „Nein, Sie haben angefangen!“ „Wer ist denn in Polen einmarschiert?“

In Bloemfontein (ein Ortsname, der das Zeug hat, in die Geschichte einzugehen wie Dunkirk oder el-Alamein) werden sich jedenfalls heute die Engländer bemühen, den ersten Schuss abzugeben. Denn aus sportlicher Sicht weiß man, dass die Aussichten alles andere als gut sind: Seit dem legendären WM-Sieg über Deutschland in Wembley 1966 – dank des legendären Wembley-Tors durch Geoff Hurst – haben die Engländer nicht mehr gegen die Deutschen bei einer Weltmeisterschaft gewonnen. Das sind 44 Jahre! Selbst der Senior der englischen Mannschaft, der bald 40-jährige Torhüter David James, war damals noch nicht geboren.

In die englische Psyche eingebrannt haben sich aber auch das Ausscheiden gegen Deutschland im Semifinale der WM 1990 beim Elfmeterschießen und bei der Europameisterschaft 1996 in England – wieder im Semifinale und wieder beim Elfmeterschießen. „Die Angst des Tormanns beim Elfmeter“ hätte angesichts der Schussschwäche der Engländer kein englischer Schriftsteller schreiben können. Stattdessen prägte damals der englische Stürmer Gary Linecker den legendären Satz: „Fußball ist ein Spiel von 22 Mann, es spielen elf gegen elf, und am Ende gewinnen immer die Deutschen.“

So wissen die Engländer, dass die WM-Bilanz heute eindeutig für die Deutschen spricht: siebenmal im Finale und drei Titel, während England gerade einen (für immer umstrittenen) Titel und zwei Semifinale aufweisen kann. Der einzige Sieg des Mutterlandes des Fußballs gegen die „Krauts“ erfolgte bei der Europameisterschaft 2000 – in einer damals bereits bedeutungslosen Partie.


Engländer fahren Audi. Die Kriegsrhetorik ist in erster Linie ein kollektiver Versuch, sich selbst Mut zu machen – oft mit selbstironischem Unterton. Seit 1945 sieht sich England als Großmacht im Niedergang, während Deutschland dank Wirtschaftswunder zur Vormacht Europas wurde. Auf Deutschland blickt man mit einer Mischung aus Bewunderung und Neid: Ein Engländer, der etwas auf sich hält, fährt heute einen schicken Audi und hat in seiner Küche elegante Einbaugeräte von Bosch installiert. Der Werbeslogan „Vorsprung durch Technik“ wird in England ohne Übersetzung verwendet.

In Wahrheit sind sich die beiden Nationen in den vergangenen 40 Jahren ähnlicher geworden, als sie es sich eingestehen wollen: Elf der 23 Spieler im deutschen Kader, der drittjüngsten Mannschaft der WM 2010, haben, wie man neudeutsch sagt, „Migrationshintergrund“. Im Einwanderungsland England, das mit dem ältesten Team aller Teilnehmer vertreten ist, gehört das seit Generationen zur Tagesordnung.

Die Tageszeitung „Daily Express“ versuchte dennoch, nicht ganz ernst, insgesamt 17 Punkte herauszuarbeiten, in denen England den Deutschen überlegen sei. Darunter: „Sie haben Angela Merkel, wir hatten Margaret Thatcher.“ Merkel wird sich übrigens heute das WM-Spiel am Rande des G20-Gipfels in Toronto ansehen, ebenso wie ihr Amtskollege David Cameron. Dabei gilt es tunlichst, diplomatische Verwicklungen zu vermeiden. Cameron: „Ich werde mir das Match lieber ohne sie ansehen, denn es kann gut sein, dass wir beide ein wenig davongetragen werden.“ 30 Millionen Engländer, so erwartet man, werden heute das Spiel sehen. Ihnen wird es ohne Zweifel ebenso gehen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.06.2010)

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