Gastkommentar

Mit Sprache Frieden stiften, wie soll das gehen?

(c) Peter Kufner
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Linguistik ist keine abgehobene und theoretische Wissenschaft mehr, sie hat aktuelle Bezüge zu Klimawandel und Kriegsgefahr.

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Klimawandel und Kriegsgefahr sind Tatsachen, die in vielen Wissenschaften Themen von Untersuchungen sind. Auch in der Sprachwissenschaft (Linguistik), die bisher meist mit Noam Chomsky (Tiefenstrukturen) und Ferdinand de Saussure (Strukturalismus) assoziiert wurde, geschieht dies nun. Linguistik ist heute keine abgehobene und theoretische Wissenschaft mehr, sondern hat aktuelle Bezüge zum Klimawandel und zur Gefahr von Kriegen.

Mit der Sprache kann man spielen, erzählen, dichten, aber man kann sie auch dazu verwenden, Unangenehmes und Schändliches zu beschönigen. Sprache kann von Musik begleitet werden oder in Spannung zu ihr stehen; sie kann ein Bild beschreiben und ergänzen, aber auch kontrastieren, und Sprache kann auch selbst zu einem Kunstwerk gemacht werden. Da es auf der Erde über 6000 Sprachen gibt, kann auch der Vergleich zwischen Sprachen oder ihre Kontrastierung besonders interessant werden. Alle diese Themen und noch viele mehr behandelt die Linguistik, die damit sicher eine der interessantesten Wissenschaften ist.

Neuer Bereich: Ökolinguistik

Vor etwa 30 Jahren hat die Linguistik eine zusätzliche Dimension erhalten, als mit der „Ökolinguistik“ ein neuer Bereich dazukam. In der Ökolinguistik wird die Rolle der Sprache bei unserer Sicht auf die „Umwelt“ gezeigt, etwa die Beschönigungen, die wir für unseren „Gebrauch“ der Tiere verwenden, wenn wir etwa von Fleischproduktion sprechen, die bei der Jagd getöteten Tiere die Strecke nennen und Pelznamen wie Grönländer, Sobaki, Feh oder Lipiskin verwenden, ohne die Tiere zu erwähnen, die für die „Herstellung“ der Pelze sterben mussten. In Brasilien gibt es ein „Spa Bovino“, eine Rinderfarm, die als „Wellness-Resort“ für Rinder dargestellt wird. Land, das nicht für Getreideanbau oder Viehzucht verwendet wird, wird „unproduktives Land“ genannt. Letzteres Beispiel ist allerdings keine Beschönigung (Euphemismus), sondern nur ein Ausdruck, der den (angeblich nicht vorhandenen) Nutzen des Landes ins Zentrum stellt.

Der 2018 verstorbene englische Linguist Michael Halliday zeigte in den 1990ern, wie die Sprache eine „Diskontinuität“ zwischen dem Menschen und der übrigen Schöpfung erzeugt, da viele Wörter (z. B. Sprache, denken, einschätzen etc.) nur für Menschen verwendet werden. Dadurch erscheint die Natur als passives Phänomen. Von vielen Ökolinguisten wird daher vorgeschlagen, statt Umwelt das Wort Mitwelt zu verwenden, das den Menschen als einen Teil der „Außenwelt“ (Ernst Haeckel) zeigt und die Natur aktiviert.

Eine weitere Dimension kam hinzu, als die biologische Vielfalt (und die Gefahr ihres Verlustes) mit der Vielfalt und der Gefährdung von Sprachen in vielen Ländern verglichen wurde. Der stumme Frühling (Rachel Carson) wurde mit der „Verstummung“ von Sprachen (Baskisch, Ladinisch, Friulanisch etc.) gleichgesetzt.

Sprachen und Lebewesen haben oft das gleiche Schicksal, wenn ihnen nicht geholfen wird. Hilfe bekommen etwa die keltischen Sprachen in Großbritannien und Irland, die an Schulen als Freifächer unterrichtet werden und für die es eigene Radio- und Fernsehsendungen gibt. So können das Walisische (in Wales) und das Gälische (in Irland und Schottland) weiterbestehen, und sogar ausgestorbene Sprachen wie das Cornish (in Cornwall) und das Manx (auf der Insel Man), dessen letzter Sprecher erst 1974 starb, werden zumindest teilweise wiederbelebt.

Englisch bleibt Lingua franca

Eine vor Kurzem in den Medien aufgetauchte Frage ist die, ob das Englische weiterhin die überall gebrauchte Sprache zur gegenseitigen Verständigung sein wird, oder ob es nach dem Brexit an Wichtigkeit verlieren wird. Die meisten Anglisten geben dazu die Antwort: Englisch wird seine Rolle als Lingua franca behalten!

Noch jünger ist ein Thema der Linguistik, das erst in den letzten Jahren Gestalt annahm, nämlich die Rolle, die Sprache bei der Erhaltung oder Herstellung von Frieden spielen könnte. Hierzu hat der schon erwähnte Michael Halliday, der auch in Graz einen Vortrag hielt, Wesentliches beigetragen: Er hat hervorgehoben, dass in den meisten Sprachen groß, hoch, schnell und andere „Wachstumswörter“ mehr gelten alt die entsprechenden „Kleinwörter“ (klein, niedrig, langsam etc.). In der Wirtschaft (auch in der Werbung) hören wir ständig, dass alles größer, höher und schneller werden soll. Wachstum ist gut, Kleinerwerden schlecht. Auch Staaten wollen größer werden (Semper Augustus – allzeit Mehrer des Reiches – war eines der Ziele des römisch-deutschen Kaiserreiches – ein Ziel, das zu mehreren Kriegen führte).

Auch Präsident Trump will sein Reich mehren, wenn er das dänische Grönland zu den USA bringen will, und in weiten Teilen der Erde führt dieses Größer-werden-Wollen zu erhöhter Kriegsgefahr. Größer werden und zahlreicher werden war vielleicht in Urzeiten wichtig, ist aber heute gefährlich.

Small is beautiful

Eine der Aufgaben der „Friedenslinguistik“ ist es, die Gefahr des ständigen Wachsen-Wollens zu zeigen und eine Sprache vorzuschlagen, in der Gleichbleiben und nur qualitativ besser werden an „oberster“ Stelle steht. Small Is Beautiful (Buch von E. F. Schumacher aus den 1980er-Jahren) sollte uns eher leiten als big is wonderful.

Ein weiterer Bereich, der als unfriedlich bewusst gemacht werden sollte, sind die vielen Gegensatzwörter, die unsere Sprachen besitzen. Groß : klein und andere Eigenschaftswörter wurden schon im Zusammenhang mit dem Wachstumsdenken genannt; gefährlich für den Frieden wird es aber, wenn Freund und Feind oder gut und böse auf Menschen bezogen werden. Hier versucht die Linguistik bewusst zu machen, dass es in der Wirklichkeit nie nur zwei Gegensätze gibt, sondern immer Übergänge und Zwischenstufen – die man auch sprachlich ausdrücken kann, etwa Gleichdenkender,Ähnlichdenkender und Verschiedendenkender (statt Freund und Feind) und ausgezeichnet, gut, weniger gut, mittelgut, eher schlechtund schlimm (statt gut und böse). Wir sollten auch nicht entweder – oder sagen und denken, sondern wie im Chinesischen sowohl – als auch oder nicht nur – sondern auch.

All dies sind Themen der Friedenslinguistik, die mit einem Bewusstmachen der Kraft der Sprache zum Friedensdenken führen will. Natürlich wissen auch Friedenslinguisten, dass es nicht primär die Sprache ist, die unser Denken und Handeln bestimmt, sondern dass umgekehrt das Denken zuerst da ist: Es äußert sich aber in der Sprache und lässt sich auch durch bewusste Verwendung der Sprache ändern.

Denken und Sprache haben zusammen die Kraft, unser Handeln zu bestimmen. Möge unser Denken, Sprechen und Handeln gemeinsam zum Frieden führen – und zu einem Goldenen Zeitalter, wie es Ovid in den „Metamorphosen“ beschreibt.

E-Mails an:debatte@diepresse.com

Der Autor

Em. Univ.-Prof. Dr. Alwin Fill (*1940), Doktorat der Anglistik u. klass. Philologie an der Uni Innsbruck, Assistenzprofessuren an der University of Oxford und University of Michigan, Habilitation 1977. Seit 1980 Professor für engl. Sprachwissenschaft an der Uni Graz, seit 2007 Professor emeritus. Zahlreiche Publikationen, zuletzt mit Hermine Penz; „The Routledge Handbook of Ecolinguistics“, Routledge.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.02.2020)

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