Mein Dienstag

Technooptimismus, von der Guillotine bis zur App

Mein liebster Podcast ist derzeit „Franck Ferrand raconte“, produziert vom französischen Sender Radio Classique.

So etwas, finde ich, sollte der ORF auch machen: eine wöchentliche, knapp halbstündige Nacherzählung einer historischen Begebenheit, spannend präsentiert von einem Journalisten, der die Geschichte kennt und liebt (lange ist's her, dass man mit Hugo Portisch einen solchen Meistererzähler ins Hauptabendprogramm rückte . . .). Neulich nahm sich Ferrand die Geschichte der Guillotine vor, deren erstes Opfer kein politisches war, sondern der gewöhnliche Straßenräuber Nicholas Pelletier. Kenner dieses Aspekts der Französischen Revolution mögen meiner Ahnungslosigkeit gegenüber Gnade walten lassen, aber mir war es bisher unbekannt, dass diese Hinrichtungsmaschine ihren Ursprung in einer Form des aufgeklärten Humanismus utilitaristischer Spielart hat.

Das Fallbeil sollte nämlich den Strafvollzug humaner machen, und zwar für alle Bürger. Denn bis dahin genossen Adelige in Frankreich das zweifelhafte Privileg, im Falle ihrer diesbezüglichen Verurteilung per Schwert enthauptet zu werden. Das ging oft schief, im wahrsten Wortsinn: Ferrand berichtet von einer Hinrichtung, die fast drei Dutzend Schwertstreiche benötigte. Nicht weniger entsetzlich war das Ende gewöhnlicher zum Tode Verurteilter, nämlich jenes am Galgen. Daher, so die Überlegung des namensgebenden Docteur Joseph-Ignace Guillotin: scharfe Klinge, hartes Holz, kurzer Schmerz. Doch wurde die Welt dadurch humaner? Wohl kaum. Die Guillotine machte das massenhafte Morden einfacher. Kaum ein Gewaltregime, welches seither keine Fallbeile schreinern ließ. Ähnelt dieser Technooptimismus nicht jenem heutigen, der meint, moralische, politische Probleme (Armut, Verbrechen) durch technische Errungenschaften lösen zu können? Gewiss: Eine App ist kein Fallbeil. Den Kopf kann sie einen, wie ein Blick auf die Cyberaktivitäten von Diktaturen wie China oder Saudiarabien zeigt, dennoch kosten.

E-Mails an:oliver.grimm@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.02.2020)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.