Gastkommentar

Ist Erdoğan vertragsbrüchig?

TURKEY-POLITICS-PARLIAMENT
TURKEY-POLITICS-PARLIAMENTAPA/AFP/ADEM ALTAN
  • Drucken

Präsident Erdoğan reist heute, Montag, nach Brüssel um über die Spannungen an der türkisch-griechischen Grenze und das sogenannte EU-Türkei-Abkommen zu beraten. Doch dieses „Abkommen“ ist kein bindender Vertrag. Eine rechtliche Analyse.

Gastkommentare und Beiträge von externen Autoren müssen nicht der Meinung der Redaktion entsprechen. Weitere Meinungs-Beiträge hier.

Abkommen, Pakt, Vereinbarung, Deal, Vertrag – die „Erklärung EU-Türkei“ vom 18. März 2016, wie ihr offizieller Titel lautet, wurde schon als vieles bezeichnet. Nur bei Vorliegen eines Vertrages würde die Erklärung die Türkei rechtlich binden. Doch handelt es sich um einen Vertrag? Völkerrechtlich ist die Bezeichnung einer Vereinbarung als Erklärung für die Frage, ob ein rechtlich bindender Vertrag vorliegt, nicht entscheidend. Entscheidend ist hingegen der Rechtsfolgewille der Parteien. Mit anderen Worten die Frage, ob die Parteien sich auch rechtlich verpflichten wollten. Dieser Rechtsfolgewille ergibt sich aus dem Wortlaut und den Umständen der Erklärung.

Eine rein politische Erklärung?

Die EU-Türkei-Erklärung enthält Elemente, die für und wider das Vorliegen eines Vertrages sprechen: Für eine unverbindliche – rein politische – Erklärung spricht unter anderem die wiederholte Verwendung des englischen Wortes „will“ („wird“), so beispielsweise: „Die Türkei wird alle erforderlichen Maßnahmen ergreifen, um zu verhindern, dass neue See- oder Landrouten für die illegale Migration von der Türkei in die EU entstehen.“ Rechtlich bindende Verträge verwenden dagegen in der Regel das englische Wort „shall“. Befürworter eines rechtlichen Vertrags bringen dagegen vor, dass die Erklärung auch von „Verpflichtungen“ spricht. Überwiegend wird die Erklärung aber nicht als Vertrag gesehen.

Rein politische Erklärungen sind in der Außenpolitik weit verbreitet. Politische Erklärungen sind naturgemäß nur politisch verbindlich, jedoch nicht rechtlich. Der Vorteil von politischen Erklärungen liegt in der einfachen Verabschiedung. Ein völkerrechtlicher Vertrag benötigt mitunter nämlich je nach abschließender Partei und Inhalt auch die Zustimmung des Europäischen Parlaments und/oder der nationalen Parlamente. Eine parlamentarische Genehmigung ist jedoch bei der EU-Türkei-Erklärung nie erfolgt. Aus diesem Grund versuchten mehrere Asylwerber die Erklärung vor dem Gericht der EU für nichtig erklären zu lassen. Doch das Gericht hielt sich für unzuständig und behandelte die Frage über das Vorliegen eines völkerrechtlichen Vertrages nicht.

Erklärung der Staats- und Regierungschefs

Das Gericht der EU entschied, dass die EU-Türkei-Erklärung nicht vom Europäischen Rat oder einem anderen Organ der EU stamme. Es handle sich um eine Erklärung der Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten und der Türkei. Der Europäische Rat brachte im Verfahren vor, dass am 18. März 2016 im Anschluss an den Rat ein Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten mit der Türkei stattfand und legte dafür Belege vor. Für solche Akte der Mitgliedstaaten sei das Gericht nicht zuständig. Die Rechtsmittel gegen die Entscheidung des Gerichts der EU blieben erfolglos.

Im Vorfeld des Besuchs von Erdoğan in Brüssel am Montag, den 9. März, wurde über mögliche Änderungen der EU-Türkei-Erklärung spekuliert. Ohne rechtliche Verbindlichkeit einer solchen Änderung bliebe aber wie bisher nur die politische Worttreue.

Der Autor

Matthias Edtmayer (*1991) ist Universitätsassistent an der Abteilung für Völkerrecht und Internationale Beziehungen der Universität Wien.

Matthias Edtmayer
Matthias Edtmayer

Mitreden

Was soll Österreich angesichts der drohenden Flüchtlingskrise tun? Diskutieren Sie mit!

>>> Hier geht's zum Forum

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.