Sprachwissenschaft: Als aus Ebert Göring wurde

Sprachwissenschaft Ebert Goering wurde
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Namen sind wichtig zur Benennung und Identitätsfindung. Namenforscher sind auch vielen Aspekten der Sprachwissenschaft, Geschichte und Geografie auf der Spur.

Stellen Sie sich vor, sie würden eines Morgens aufwachen und hätten plötzlich keinen Namen mehr. Niemand – Sie eingeschlossen – wüsste, wie Sie heißen. Folglich müsste man situationsabhängig auf Beschreibungen wie „die Frau mit dem roten Pullover dort hinten“ oder „mein Nachbar“ zurückgreifen. Was aber, wenn die Frau am nächsten Tag einen grünen Pulli trägt und der Nachbar den Wohnort wechselt? „Eine Welt ohne Namen wäre schlichtweg unvorstellbar“, erklärt die Germanistin Erika Windberger-Heidenkummer (Universität Graz).

Da Menschen und Objekte der realen Welt sich ständig im Wandel befinden, muss man auf verbindliche, vielfach rechtlich fixierte und geschützte Individualbezeichnungen, also Namen, zurückgreifen können – und das in jeder Situation und über möglichst lange Zeit hinweg. Personennamen (Anthroponyme), wie z.B. Eva Müller, haben die Aufgabe zu individualisieren, zu identifizieren und zu differenzieren. Ortsnamen (Toponyme) dienen auch der Lokalisierung. Und Sachnamen (Chrematonyme) sind u.a. Produktnamen, Firmennamen, aber auch Namen von Publikationen.

„Wilhelm Nicolaisen, ein bekannter Namenforscher, hat den Menschen einmal zutreffend als ,naming animal‘ bezeichnet“, so die Forscherin. Namengebung gehört zu unserem alltäglichen Leben, wenn wir Word-Dokumente benennen ebenso wie bei der Vergabe von User- oder Nicknames oder der schwierigen Überlegung, den passenden Namen für sein Kind zu finden.

Die Namenforschung (Onomastik) ist ein sehr komplexes Forschungsgebiet. Das liegt zum einen daran, dass Namennetze unfassbar groß und erweiterbar sind. Versuchen Sie sich das nächste Mal beim Durchblättern der Gelben Seiten alle Namen und Adressen zu merken! Auf der anderen Seite kommt noch der Faktor Zeit dazu: Unsere Kenntnis historischer Namen ist begrenzt, viele sind entweder nicht tradiert oder (noch) nicht bekannt.

Immerhin gibt es auch richtige Fossilien, die bis heute überlebt haben. „Für sehr alte Namen, vor allem Gewässernamen, hat es Sinn, eine indogermanische Wortwurzel zu rekonstruieren bzw. über Alteuropäisch oder Voreinzelsprachliches zu diskutieren.“ Toponyme im deutschen Sprachraum können aus keltischen, romanischen, slawischen oder germanischen Sprachschichten stammen. Die Namenschichten einer Landschaft liefern den Forschern Beweise für vielfältige kulturelle und sprachliche Kontakte (siehe Artikel rechts).


Keine Beschreibung. Veränderungen im landschaftlichen Erscheinungsbild, in der Nutzung von Raum und Besitzverhältnissen müssen bei der Namendeutung immer berücksichtigt werden. Die „Ungerbauer Weide“, ein Flurname, muss nicht mehr dem Landwirt vulgo Ungerbauer (Hofname) gehören, und sie muss auch keine Weide mehr sein. Ebenso kann die „Obere Wiese“, die für ältere Generationen noch eine offene Grasfläche war, heute bewaldet sein. Stellt sich die Frage, warum man dann nicht „Oberer Wald“ dazu sagt? „Weil die Menschen, die diesen Namen gebrauchen, ihn als eingebürgert und gewohnt empfinden. Dass er irgendwie nicht passt, stört sie selten.“ Denn: Namen müssen das Objekt oder Individuum, das sie benennen, nicht auch als solches beschreiben. Man kann, wie jeder weiß, Schuster oder Tischler mit Nachnamen heißen, obwohl man einen völlig anderen Beruf hat.

Mittelalterliche Beinamen, die im Laufe der Zeit zu erblichen Familiennamen wurden, sind eine der größten Herausforderungen der Onomastik. Im Hochmittelalter herrschte in weiten Teilen Europas Einnamigkeit. Man benutzte Rufnamen und variable Zusätze, das reichte aber nicht in jeder Situation zur Identifizierung aus. Eine Möglichkeit war, den Berufsstand anzugeben. „Diese Angaben sind deskriptiv, sie verraten viel über spezialisierte mittelalterliche Berufe, über Zünfte und Stände und erschließen auf diese Weise einen Teil der historischen Lexik“, so die Germanistin. Viele Berufsbezeichnungen, die schließlich erblich wurden, wie Schuster, Weber, Wagner, sind heute als Zunamen massenhaft verbreitet.

Sogenannte „Patronymika“ sind eine andere Möglichkeit, eine Person besser als mit einem einzigen Namen identifizieren zu können. Sie sind besonders in nordischen Ländern geläufig, wo der Nachname sich hauptsächlich aus dem Vornamen des Vaters ableitet – z.B. Petersen von „Peters Sohn“. Verkompliziert wird die Sache noch durch den Sprachwandel: Neue Wörter kommen hinzu, andere sterben aus. Und das geht Hand in Hand mit der lautlichen und graphematischen Entwicklung der Sprache. Namen werden in ihren vielfältigen historischen Schreibungen oder auch in besonderen mundartlichen Lautungen zu einem ergiebigen Untersuchungsgegenstand. Dabei gibt es auch viele Unklarheiten. „Bei manchen Namen gibt es mehrere Möglichkeiten, wie diese entstanden sein könnten. Klarheit bringt meist nur eine dichte historische Belegreihe eines Namens“, erläutert Windberger-Heidenkummer.

Der Name des Schauspielers Klaus Maria Brandauer z.B. könnte ein Herkunfts- oder Wohnstättenname sein – d.h. er würde sich auf einen bestimmten, häufig vorkommenden Ortsnamen Brandau – oder auf einen Flurnamen, genauer einen Rodungsnamen, eine Brandrodung – beziehen.

Auch historische Ereignisse haben Einfluss auf die Namengebung. Die Stadt- bzw. Straßenstruktur von Berlin liest sich wie ein Palimpsest (ein Pergamentblatt, das immer wieder abgeschabt und neu beschrieben wurde). Diese kriegsgebeutelte Stadt fungierte von der Zeit des Kurfürstentums bis hin zur wiedervereinten Bundesrepublik Deutschland achtmal als politische Hauptstadt. Die Kriege und ihre Macher hinterließen ihre Spuren. Ein gutes Beispiel ist die 1925 nach dem ersten republikanischen Staatsmann Friedrich Ebert benannte Straße, die zuvor insgesamt neun Mal (!) umbenannt wurde und im Nationalsozialismus zwischenzeitlich Hermann-Göring-Straße hieß. Namen tragen eben zur individuellen, kollektiven und kulturellen Identität und Identitätsfindung bei.

In der – stets interdisziplinären – Onomastik verwenden Wissenschaftler z.B. plausibilitätskritische Analysen diverser Familiengeschichten, Stammbäume, Urkunden und anderer Quellenkorpora, führen Feldforschung vor Ort durch – wie Befragungen der bäuerlichen Bevölkerung – und nutzen geografische Informationssysteme (GIS) und digitalisierte Daten. „Zwar gibt es viele Hobbyforscher auf diesem Gebiet“, erklärt Windberger-Heidenkummer, „aber ohne linguistisches Fachwissen und methodische Kompetenz sollte nicht etymologisiert und gedeutet werden – auch wenn es Spaß macht.“

Trotz ihrer Komplexität und Materialfülle bleibt die Onomastik ein Spezialforschungsbereich, der nicht nur Kompetenz und ein großes Maß an Leidenschaft, sondern vor allem Durchhaltevermögen verlangt: „An einer durchschnittlichen Publikation sitzt man zuweilen überdurchschnittlich lang, an einer umfangreichen Publikation, einem großen Namenlexikon, mehrere Jahre, aber nicht wenige verbrauchen dafür ihr halbes Leben“, erklärt Windberger-Heidenkummer.

Die Herkunft der Namen dient Wissenschaftlern als Grundlage für kulturelle und sprachliche Forschungen: Hiesige Ortsbezeichnungen können aus keltischen, romanischen, slawischen oder germanischen Sprachschichten stammen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.07.2010)

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