Presseschau

Was internationale Medien über die Corona-Krise schreiben

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The Guardian, Financial Times, Corriere della Sera: Was internationale Medien über die Corona-Krise schreiben.

Gastkommentare und Beiträge von externen Autoren müssen nicht der Meinung der Redaktion entsprechen.

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The Guardian

„Laissez-faire-Ansatz hat nicht funktioniert“

London. „Die Öffentlichkeit brauchte dringend eine klare politische Führung, da die Entwicklung der Coronavirus-Epidemie in diesem Land weiterhin der des besonders stark heimgesuchten Italien folgt. Es war dringend notwendig, dass Boris Johnson statt etlicher Ermahnungen klare Anweisungen erteilte, die durchzusetzen sind, und damit einen Lockdown herbeiführte. Ein Laissez-faire-Ansatz zur Bekämpfung einer Pandemie hat nicht funktioniert. (. . .)

Wie die Dinge liegen, kann man wohl davon ausgehen, dass Großbritannien in dieser albtraumhaften Erfahrung zwei Wochen hinter Italien zurückliegt. Und doch hatte die Regierung gewartet, ehe sie nun ein ähnliches Maß an Selbstbeschränkung durchsetzte. Jetzt so zu handeln ist richtig.“

Financial Times

Yuval Harari zur Krise

London. „Ja, der Sturm wird vorübergehen, die Menschheit wird überleben, die meisten von uns werden noch am Leben sein – aber wir werden eine andere Welt bewohnen.

Viele kurzfristige Notfallmaßnahmen werden zu einem fixen Bestandteil unseres Lebens werden. Das ist die Natur von Notfällen. Sie beschleunigen historische Prozesse. Entscheidungen, die in normalen Zeiten jahrelange Beratungen erfordern könnten, werden innerhalb weniger Stunden getroffen. Unreife und sogar gefährliche Technologien werden in den Dienst gestellt, weil die Risken des Nichtstuns größer sind. Ganze Länder dienen als Versuchskaninchen in groß angelegten sozialen Experimenten. Was passiert, wenn alle von zu Hause aus arbeiten und nur aus der Ferne kommunizieren? Was passiert, wenn ganze Schulen und Universitäten online gehen? In normalen Zeiten würden sich Regierungen, Unternehmen und Bildungseinrichtungen niemals bereit erklären, solche Experimente durchzuführen. Aber dies sind keine normalen Zeiten.

In dieser Zeit der Krise stehen wir vor zwei besonders wichtigen Entscheidungen: Die erste ist zwischen totalitärer Überwachung und der Stärkung der Bürger. Die zweite zwischen nationalistischer Isolation und globaler Solidarität.“

Der komplette Text des israelischen Historikers Yuval Noah Harari mit dem Titel „The World After Coronavirus“ ist auf der Homepage der FT frei zu lesen:

www.ft.com

Gazeta Wyborcza

„Sollten wachsam sein“

Warschau. „Der Kampf gegen das Coronavirus liefert in Europa einen Vorwand zur Demontage demokratischer Mechanismen. Wenn die Pandemie vorüber ist, werden wir möglicherweise mit autokratischen Strukturen aufwachen. Dies geschieht gerade in Ungarn. Dort strebt die Regierung die Einführung eines Notstands an, der unbefristet gelten soll. Das würde Ministerpräsident Viktor Orbán praktisch uneingeschränkte Macht geben. Er könnte dann per Dekret regieren, ohne Rücksicht auf das Parlament.

Die Angst (vor dem Coronavirus) hat Europa gepackt. Aber es ist ein schmaler Grad zwischen angebrachten Maßnahmen und offenem Machtmissbrauch des Staats. Wenn Serbien ein Gesetz einführt, das Medien für Falschinformation bestraft, dann kann dies ein Mittel gegen Panikmache sein. Es kann aber auch zur Peitsche werden gegen Journalisten, mit denen der Präsident noch ein Hühnchen zu rupfen hat. Für Politiker, die von autoritärer Herrschaft träumen, ist jetzt ein guter Moment gekommen. Diejenigen, denen die Demokratie am Herzen liegt, sollten wachsam sein.“

De Standaard

„Kostenlos wird es nicht“

Brüssel. „Mindestens eine Generation wird mit den Nachwirkungen konfrontiert werden. Wie immer wird die Mittelschicht die Folgen zu tragen haben, durch höhere Steuern, reduzierte öffentliche Dienstleistungen, angetastete Pensionen oder einfach nur durch die Inflation. Wie genau, wissen wir noch nicht, aber kostenlos wird es nicht. Der Moment muss genutzt werden, um die Ungleichheit bei den Steuerzahlern scharf anzugehen. Die EU kann ihren Nutzen unter Beweis stellen, indem sie Schlupflöcher schließt und verhindert, dass Mitgliedstaaten ein gegenseitiges Steuerparadies für ein paar Glückliche bleiben. Jetzt, wo wir für unsere Gesundheit in einem Polizeistaat leben müssen, sollten sie auch gleich das Steuervirus ausrotten.“

The Times

„Johnsons Bilanz ist bisher durchwachsen“

London (23. 3.). „Boris Johnson wird wissen, dass die Geschichte ihn danach beurteilen wird, wie er mit dieser beispiellosen Krise umgeht. Die Wahrheit ist, dass seine Bilanz bisher durchwachsen ist. Von Anfang an schien er hinterherzuhinken. Beträchtliche Zeit, die für die Vorbereitung auf die Krise hätte aufgewendet werden können, scheint verschwendet worden zu sein. (. . .)

Die Zahl der Todesopfer wird steigen, und viele werden krank werden. Wenn der staatliche Gesundheitsdienst (NHS) überfordert ist und Ärzte gezwungen sind, Menschen potenziell lebensrettende Behandlungen zu verweigern, wird die Öffentlichkeit möglicherweise fragen, warum Schulen, Pubs und Restaurants nicht früher schließen mussten.

Diena

„Situation ist einzigartig“

Riga. „Ob die Coronakrise nur vorübergehender Natur ist, hängt davon ab, wie logisch die Handlungen von hochrangigen Staatsdienern, Gesetzgebern und Exekutivorganen sein werden und wie rational jeder Einzelne zu handeln vermag. Es ist auch anzuerkennen, dass dies keine weitere Finanzkrise ist (. . .). Die Situation ist einzigartig, Vorhersagen der Ökonomen über die Dauer dieser Krise sind so unterschiedlich wie die Meinungen von Ärzten und Wissenschaftlern zu den medizinischen Aspekten von Covid-19.“

Corriere della Sera

„Neue Weltordnung“

Mailand. „Der kommunistische Generalsekretär tut, was man vom Präsidenten der USA erwarten dürfte, etwas, was unser Bild vom Weißen Haus und dem ,Führer der freien Welt‘ über eine Epoche lang seit dem Ersten Weltkrieg bestimmt hat: Er könnte demokratische Kräfte zusammenführen, der internationalen Gemeinschaft den mächtigen amerikanischen Industrieapparat zur Verfügung stellen. Stattdessen überlässt Trump ganz Xi Jinping das Feld, der es nutzen könnte, um eine neue Weltordnung nach der Pandemie, nach diesem unerwartet destabilisierenden Dritten Weltkrieg, anzuführen.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.03.2020)

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