Mein Dienstag

Vom Internet verschluckt

Auf einer Webseite sehe ich ein Produkt, es ist eine Art Holzbank mit vertikal abstehender Wand samt kleinen Regalen, auf die man Deko, Schlüssel oder die Brille abstellen kann (um sie dort zu vergessen und später stundenlang unter dem Bett zu suchen).

Dieses Teil ist ein bisschen klobig, finde ich, und weder brauche ich eine Holzbank, noch habe ich Platz dafür. Also bestelle ich ein Stück. Ich könnte doch einige Pflanzen auf das Regal stellen. Die, die ich schon habe zum Beispiel. Ach was, lasset uns neue Sukkulenten kaufen. Auf einer Gartenwebseite klicke ich mich durch allerlei Gewächs, und weil mein Bestellwert einen gewissen Betrag übersteigt, gibt es eine Probepackung Kakteen- und Bonsaidünger gratis dazu. Ich freue mich sehr über diesen kostenlosen Dünger, es ist grotesk. Was macht eigentlich einen Bonsaidünger so besonders? Ich google Bonsaidünger. Ein paar Klicks später lande ich auf der Seite „Top 10 Sehenswürdigkeiten in Isfahan“, von dort aus geht es auf Umwegen zu einem Artikel, in dem erklärt wird, dass die Einführung der Gabel als Essbesteck im Venedig des 11. Jahrhunderts zu einem Eklat innerhalb der Dogenfamilie geführt hat, galt die Gabel doch als Teufelszeug.

Zeit ist etwas Heimtückisches, wenn man plötzlich viel davon hat. Eigentlich könnte man doch endlich die Küchenschränke wischen oder sich Robert Musil widmen. Stattdessen verschluckt einen das Internet.

Manchmal jogge ich ein paar Runden in einem kleinen Park. Dort sehe ich öfters eine Frau in meinem Alter, die sich auf einer erhöhten Steinplatte seltsam bewegt, sie sieht aus wie diese tanzenden Figuren von Henri Matisse. An einem Tag, während einer Laufpause, muss ich sie arg dümmlich angestarrt haben, denn sie ruft zu mir rüber: „Komm, ich zeig dir ein paar Übungen!“ Aus unlogischen Gründen sage ich: „Ja, okay“, stelle mich mit Sicherheitsabstand auf eine andere Steinplatte und mache die yogaähnlichen Übungen nach. Es wird eine ziemlich witzige Fitnesseinheit, auch wenn es bei mir nicht nach Matisse aussieht, sondern nach Picasso. Ich bedanke mich winkend. Sie sagt: „Ich mag es gar nicht, wenn der Park so leer ist.“

E-Mails an:duygu.oezkan@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.03.2020)

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