Gastkommentar

Worte eines Großvaters an seine Enkelin

Frühling 2020, als ein Ruck durch die Gesellschaft ging.
Frühling 2020, als ein Ruck durch die Gesellschaft ging.Clemens Fabry/Die Presse
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Ein paar Gedanken eines Großvaters, der seiner heute knapp zweijährigen Enkelin Alma gerne einmal erzählen möchte: „Damals im Frühling 2020 ging ein Ruck durch unsere Gesellschaft!“

Fünf Dinge, die sich in Zukunft geändert haben könnten, wenn wir folgendes gemeinsam in Angriff nehmen:

1. Sozialdienst statt Wehrpflicht.

Sowohl für Männer als auch für Frauen wäre ein soziales Jahr gerade in der Lebensphase der Orientierungssuche nach Schule und vor dem Berufs- oder Studieneinstieg ungemein sinnvoll. Die jungen Erwachsenen lernen dadurch nicht nur den Umgang mit sozialen und einfachen medizinischen Aufgaben, sondern sie kommen so auch aus ihren angestammten Milieus heraus, sie treffen Menschen anderen Alters und sie lernen als starke gesunde junge Männer und Frauen, dass jeder von uns irgendwann einmal auch schwach und krank und sicher auch sterben wird.

Man kann bekanntlich nie früh genug damit anfangen „Sterben zu lernen“, wie Cicero schon geschrieben hat.

»Lasst uns nach Corona unbedingt wieder die Hände geben, die Anderen, die wir gut und lange kennen auf die Wangen küssen und auch unbekannte Menschen, die im Stadion neben uns sitzen und über ein Tor von Rapid gegen Red Bull jubeln einfach so und herzlich umarmen!«

2. Ein bedingungsloses Grundeinkommen für alle Bürgerinnen und Bürger.

So wie PensionistInnen regelmäßig ihr Geld vom Staat ausgezahlt bekommen, so sollten auch pflegende Angehörige, Frauen, die Zuhause ihre Kinder erziehen, Künstler und Kreative, Unternehmerinnen und Unternehmer jeden Monat mit soviel Geld vom Staat rechnen können, damit Wohnen und Essen nicht in Frage stehen? Und zwar unabhängig von Notsituationen, sondern grundsätzlich und bedingungslos.

Statt des enormen Aufwands, den wir in Arbeitsämter, in die Vergabe von Sozialhilfen, in die unterschiedlichen Pensionsversicherungen und Zuschüssen aller Art, also in ein Heer von Beamten  investieren, wandeln wir doch diese Mittel einfach in einen sicheren monatlichen Betrag für jeden um.

Das hätte uns gerade in diesen Tagen der Corona-Krise vor einem beträchtlichen Teil an Sondergesetzen und Sonderausgaben bewahrt, für die wir nun Jahrzehnte zurückzahlen werden müssen.

Der Staat gehört allen und nicht nur jenen, die an der Macht sind, also muss auch das Eigentum des Staates an alle verteilt werden und nicht nur von jenen mehr oder weniger Gönnerhaft vergeben, die gerade regieren.

3. Eine europäische Alternative zu Facebook und Co.

Golli Marbie.
Golli Marbie.

Denn auch wenn wir natürlich in solchen Tagen der Quarantäne besonders glücklich über Zoom oder WhatsApp sind. Unsere Daten gehen ungefiltert an diese Unternehmen. Wir haben zwar keinen Überwachungsstaat, aber wir akzeptieren immer noch die Regeln von Eigentümern, die uns durch die Weitergabe von Daten an Cambridge Analytica uA bereits den Brexit oder auch den amerikanischen Präsidenten Trump eingebracht haben.

Der ORF und andere öffentlich-rechtliche Sender Europas, die ja bereits in der EBU verbunden sind, sollten in die Lage versetzt werden, einen Messenger Dienst (wie Zoom, Whats App, TikTok, oder Ähnliches), eine Suchmaschine (a la Google) und natürlich auch eine entsprechende Mediathek (a la Netflix) aufzubauen, bei der wir dann als europäische Bürgerinnen und Bürger sicher sein können, dass unsere Daten so verwaltet werden, wie jede einzelne Userin das auch möchte.

Daten sind mehr als nur die Rohstoffe der Gegenwart: die ungehemmte Auswertung von Daten führt unweigerlich zu totalitären Systemen

4. Ein Generationenverständnis, dass nicht nur auf die „Älteren“ ausgerichtet ist.

Die ältere Generation sollte die ihr zurecht entgegengebrachte Solidarität  bei den kommenden Wahlen und Abstimmungen auch in die andere Richtung zeigen. Zum Beispiel bei etwaigen zukünftigen Abstimmungen zu einem nachhaltigen Klimaschutz, zum Ausbau des öffentlichen Verkehrs oder über die Wehrpflicht sollten dann nicht nur die Interessen des Pensionistinnenalltags, sondern auch der Blick für nächste Jahrzehnte Argument für die abgegebene Stimme sein.

Alter ist bekanntlich noch kein Verdienst.

5. Mehr Europa und weniger Nationalstaat

Denn dann hätten wir jetzt keine Probleme mit der Einreise von Erntehelfern oder von 24-Stunden-Hilfen (gerade für unsere älteren Menschen, die sich in der Regel den Nationalstaaten so verpflichtet fühlen), dann hätten wir keine nationale Ausfuhrbeschränkungen für medizinisches Material oder auch keine Frage, ob wir Kredite als Gemeinschaft demokratischer Länder aufnehmen möchten, oder eben nicht.

Und wir würden - neben dem richtigen Bemühen möglichst viele Leben, die durch Corona bedroht sind, zu retten, auch an Menschen denken, die an der griechisch türkischen Grenze im Elend vegetieren müssen, Denn warum bitte, sind uns diese Menschen soviel weniger wert! Wir hätten wohl auch keine demokratiepolitischen Eigenartigkeiten, wie jetzt gerade in Ungarn zu befürchten. Der Corona-Virus ist bekanntlich keine nationale Angelegenheit, warum aber sollten dann derlei Fragen national gelöst werden?

Es braucht also ein Ende der Einstimmigkeit in der EU und die Aufgabe nationaler Rechte, damit wir bei einem nächsten Fall wie Corona dann besser miteinander auftreten können.

Dieser Ruck, der also durch unsere Gesellschaft gehen sollte, bedeutet hoffentlich für die Zukunft mehr Bürgerrechte (und weniger Befehlsausgabe), mehr tatsächlichen Dialog in der Demokratie (zb im Parlament), mehr Schutz aber eben auch mehr Vertrauen in die Einzelnen und in die Zivilgesellschaft!

Und bitte: Lasst uns nach Corona unbedingt wieder die Hände geben, die Anderen, die wir gut und lange kennen auf die Wangen küssen und auch unbekannte Menschen, die im Stadion neben uns sitzen und über ein Tor von Rapid gegen Red Bull jubeln einfach so und herzlich umarmen!

Der Autor

Golli Marboe (*1965) ist Vater von vier Kindern, Großvater einer Enkelin, freier Journalist und Vortragend er zu Medienfragen. Er war viele Jahre TV-Produzent und ist heute Obmann von VsUM (Verein zur Förderung eines selbstbestimmten Umgangs mit Medien).

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