Am Herd

Jetzt ist der Kleiderschrank dran

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Ja, auch ich verbringe zu viel Zeit zu Hause und habe den Kasten ausgemistet. Über alte Sommerkleider und (vergleichsweise) neue Fehlkäufe.

Manchmal werde ich unruhig. Nicht nur manchmal, sondern immer wieder. Dann kann mich keine Netflix-Serie fesseln, den Roman, den ich gestern erst einer Freundin ans Herz gelegt habe, klappe ich nach zwei Seiten zu, an der blühenden Kapuzinerkresse habe ich mich auch schon sattgesehen, also sitze ich hier, fast fühlt es sich wie Langeweile an. Wäre da nicht diese Getriebenheit, fehlte nicht diese selbstvergessene Behäbigkeit, die so viele meiner Kindertage ausgefüllt hat.

Wenn der Zustand zu lang anhält, räume ich auf. Sortiere aus. Werfe weg. Im Vorzimmer stapeln sich alte Krimis, kistenweise habe ich abgelaufene Gutscheine, Zeitschriften und Plastikdosen entsorgt, große und kleine, runde und eckige, welche mit Deckel und welche ohne, die sich sinnlos angesammelt haben und die ich nie mehr brauchen werde, jedenfalls nicht in dieser wahllosen Menge.

Jetzt ist der Kleiderschrank dran. Der Kleiderschrank ist schwer. Dabei sollte er leicht sein. Man trenne sich, heißt es, einfach von allem, was man ein Jahr lang nicht getragen hat, aber das ist ein schlechter Rat. Was ist mit dem nachtblauen Kostüm, das kleine Kinder so magisch angezogen hat. weil der Stoff so weich war und samtig? Oder mit dem „Präsidentinnen“-Kleid? Mein Mann hat es so getauft, weil ich darin so professionell wirkte. Die schwarze, weit ausgestellten Hose kommt vielleicht wieder in Mode. Genauso wie der beige Leinenrock, der ganz zerknittert hinten im Winkel liegt.

Der Reinigungszettel. Manches gehört natürlich weg. Der Blazer mit den Schulterpolstern aus den Neunzigern, der mir schon damals nicht gestanden hat und den ich nur nie ausgemustert habe, weil der Reinigungszettel noch an ihm pickt – und ich wollte nicht umsonst Geld ausgegeben haben. Oder die Leiberln aus dem letzten Jahrzehnt. Damals bedruckte man T-Shirts mit bunten Mustern, Strass und Glitzer, unglaublich, dass ich da mitgemacht habe. Und warum habe ich diesen blauen Pulli gekauft habe, der ist mir viel zu kurz!

Manche Dinge habe ich für die Kinder aufbehalten. Und recht habe ich getan. Das schwarze Fähnchen mit den Spaghettiträgern passt Marlene wie angegossen, sie dreht sich vor dem Spiegel, und da sie schon dabei ist, zieht sie aus dem Stapel an Ausgemustertem den Blazer hervor und kombiniert das Ganze mit ihren Doc Martens. Passt perfekt, Marlene-Style eben, ich freue mich, und wir wühlen weiter in den alten Sachen, ich probiere, und Marlene schüttelt den Kopf, dann probiert Marlene, und ich schüttle den Kopf, immer wieder finden wir dann aber doch etwas, was uns passt, ich ein taubenblaues Etui-Kleid, sie ein schwarzes Hemd, und so geht auch dieser Coronatag vorbei.

Und gar nicht so schlecht.

bettina.eibel-steiner@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.04.2020)

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