Zeitgeschichte

„Diese Amerikaner sind himmel­anstinkende Krämerseelen“

Auswanderer aus Österreich-Ungarn bei der Abreise in Triest auf einem Schiff der Austro-Americana
Auswanderer aus Österreich-Ungarn bei der Abreise in Triest auf einem Schiff der Austro-Americanagemeinfrei
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Für Österreicherinnen und Österreicher, die im 19. und frühen 20. Jahrhundert nach Amerika auswanderten, war die Entscheidung häufig nicht endgültig. Ein digitales Forschungsprojekt untersucht nun die für die Rückkehr ins Heimatland ausschlaggebenden Faktoren.

Der Dichter Nikolaus Lenau war einer der frühen von mehr als fünf Millionen Österreichern, die es schon vor 1950 nach Amerika zog. Nach abgebrochenem Medizinstudium und Beziehungsstress buchte er 1832 eine Schiffspassage, um auszuwandern. Doch die Erfahrungen in Baltimore, Ohio und an den Niagarafällen enttäuschten ihn. Bereits acht Tage nach seiner Ankunft in Baltimore schrieb er: „Diese Amerikaner sind himmelanstinkende Krämerseelen. Tod für alles geistige Leben, maustot.“

Lenau kehrte nach Österreich zurück, wie viele seiner Landsleute auch. Genaue Zahlen für die Rückkehreranteile liegen nicht vor. Schätzungen nehmen vor 1909 Quoten zwischen 17 und 27 Prozent an. Für die Zeit ab 1909 sollen nach Österreich-Ungarn sogar durchschnittlich 37 Prozent der Ausgewanderten zurückgekommen sein. Dort wurde die Rückkehr nicht selten gezielt gefördert. 1907 wurde in Österreich-Ungarn beispielsweise eine Amnestie für Rückkehrer erlassen, die sich durch die Auswanderung ihrer Wehrpflicht entzogen hatten, da sonst eine „große Anzahl tüchtiger, welterfahrener und unternehmender Hände verloren gehen würde“, wie aus Archivmaterial hervorgeht. Ungarn schloss Verträge zur Senkung der Schiffspreise für Rückkehrer oder deckte diese durch einen Auswanderungsfonds und schuf so besondere Anreize: „Denn die Heimat profitierte sowohl finanziell als auch immateriell von den Auslandsaufenthalten ihrer Landsleute,“ erklärt Sarah Oberbichler vom Institut für Zeitgeschichte der Uni Innsbruck.

Der neuen Heimat müde?

Im Rahmen des Projekts „News-Eye“ nutzt sie – gefördert vom EU-Programm „Horizon 2020“ – neue Konzepte, Methoden und Werkzeuge für die Digitalen Geisteswissenschaften. Am Projekt beteiligt sind acht Partner aus vier europäischen Staaten (Österreich, Finnland, Frankreich und Deutschland), darunter drei Nationalbibliotheken, vier Gruppen aus der Computerwissenschaft und vier Forschungsteams aus den Geisteswissenschaften.

Oberbichler untersuchte historische Zeitungen, die in der Österreichischen Nationalbibliothek auf der ANNO-Plattform digitalisiert zur Verfügung stehen, darauf, wie die Rückkehr von Ausgewanderten beschrieben und eingeordnet wird. 250 Artikel wurden auf ihre Deutungen und Argumentationen hin analysiert. Sie unterscheidet verschiedene Motivationslagen der Rückwanderer. Da gibt es diejenigen, die Österreich bereits mit dem Gedanken an die Rückkehr verließen, aber auch andere, die zur Rückkehr gezwungen wurden, weil wirtschaftliche Krisen ihnen die Existenz im Ausland unmöglich machten. Oberbichler identifizierte auch solche Rückkehrer, die freiwillig oder auf Druck der Familie nach Österreich-Ungarn zurückkamen, obwohl sie eigentlich in der neuen Heimat hatten bleiben wollen.

„In der amerikanischen Wirtschaftskrise von 1907 verzeichnen wir die größte Rückkehrerbewegung“, erklärt Oberbichler. „Diese schlägt sich in den untersuchten Zeitungen auch in einer intensiveren Berichterstattung nieder. Dabei finden wir ganz unterschiedliche Bewertungen.“ Im „Mährischen Tagblatt“ hieß es beispielsweise 1907 kritisch: „Die Heimat hat ihre Söhne ungern ziehen lassen, jetzt ist man in Sorge, weil sie heimkehren.“ Große Migrationsbewegungen führen laut Oberbichler stets zu Ängsten in der Bevölkerung. Dies war bei der Rückkehr der eigenen Landsleute nicht anders.

Die Zeitungen beschreiben differenziert und mit eindeutiger Absicht die Gründe für die Rückkehr. „Sie nutzen zum Beispiel die negativen Erfahrungen der Rückkehrer, um Auswanderungswillige abzuschrecken“, so die Historikerin. „Deutungs- und Argumentationsmuster, die sich in den Artikeln finden, sind immer auch Legitimationsmuster dafür, dass die Rückkehr akzeptiert oder eben abgelehnt wurde.“

Oberbichler konnte die Instrumente, die in „NewsEye“ entwickelt wurden, nutzen, um verschiedene Aspekte der Wanderungsbewegungen zu erforschen. Dieser Zugang erwies sich als lohnenswert, da sie erst dadurch auf Erwähnungen des Phänomens der Rückkehr stieß und sich somit ein relativ junges Forschungsfeld erschloss, das sie nun im historischen und geografischen Kontext zu analysieren beabsichtigt.

Lexikon

Die ANNO-Plattform ermöglicht es, digitalisierte Zeitungen zu durchsuchen. Dabei ist die Abstandssuche besonders hilfreich. Wenn etwa in einem Umkreis von 20 Wörtern bestimmte Begriffe wie „Auswanderer“ und „zurückkehren“ zusammen vorkommen, können relevante von nicht-relevanten Artikeln besser unterschieden werden.
NewsEye möchte noch einen Schritt weitergehen und mithilfe von Methoden wie „Topic Modeling“ die Artikelsuche zu einem bestimmten Thema erleichtern.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.04.2020)

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