Kolumne zum Tag

Alles Genießen ist Gären: Ode an die Backhefe

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Die Lockerungen des Alltagslebens lassen sich unter anderem daran erkennen, dass sich in den Kühlregalen der Supermärkte die Backhefe zu stapeln beginnt.

Auch in Belgien nähern sich die Umstände allmählich wieder dem, was man früher „normal“ zu nennen gar nicht dachte, weil man Normalität ja nur dann wahrnimmt, wenn sie weg ist. Diese Lockerungen des Alltagslebens lassen sich unter anderem daran erkennen, dass sich in den Kühlregalen der Supermärkte die Backhefe zu stapeln beginnt. Erinnern wir uns an die Zeit vor vier Wochen: Da war nirgendwo ein Würfelchen Hefe zu finden, Mehl war täglich rasch ausverkauft, denn allerorten buken erschöpfte Eltern mit ihrem Nachwuchs angesichts geschlossener Schulen und Spielplätze Kuchen, Kekse, Brot und Pizzen. Die Hefeproduzenten waren, nicht nur in Belgien, sondern wohl in ganz Europa, von dieser Nachfrage überfordert. Eine verzweifelte Kollegin einer deutschen Rundfunkanstalt fragte mich vor Ostern, ob ich denn wisse, wo es Mehl und Hefe gäbe, es wäre wegen des Osterstriezels (wir waren knapp davor, die polizeilichen Bewegungsverbote zu brechen, um uns an der Grenze zwischen Brüssel und Wallonie-Brabant zur heimlichen Mehlübergabe zu treffen).

Doch das ist ferne Vergangenheit, das Angebot stieg, die Nachfrage sank, weil die belgischen Schulen wieder nach und nach öffneten, und so konnte auch ich mich dieser Tage der ersten Anfertigung einer Pizza widmen. Ich muss sagen: Es gibt weniges in meiner Küche, das mir derzeit mehr Befriedigung verschafft als das Herstellen des Sauerteiges. Wie öd wäre doch unser Leben ohne die hilfreichen kleinen Pilze der Hefe! Kein Bier, kein Brot, keine Pizza, keine Flammküchlein, kein Wein: Was für eine geschmacklose, unlustige Welt wäre das. Man sagt landläufig, dass der wichtigste Moment in der Menschheitsgeschichte jener war, wo der erste unter unseren zotteligen Vorfahren in der ostafrikanischen Savanne den Dreh mit dem Feuermachen heraushatte. Ich möchte dafür plädieren, auch jenen Ahnen zu adeln, der als erster die Hefepilzchen für kulinarische Zwecke dressierte.

E-Mails an: oliver.grimm@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.06.2020)

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