Die Polizei zeigt bei der Entführung verwendete Gegenstände
Oetker-Entführung

Fall Oetker: Der Entführer inszenierte sich als Opfer, der Entführte verbat sich Selbstmitleid

Vor 40 Jahren wurde das Urteil in einem der spektakulärsten Kriminalfälle der deutschen Geschichte gefällt.

"Ich will Gerechtigkeit" - und die gebe es nur mit einem Freispruch, sagte der Angeklagte Dieter Zlof in seinem tränenreichen Schlusswort. Gerechtigkeit wollte auch der körperlich schwer gezeichnete Richard Oetker. Über sechs Monate hatte der Prozess um seine Entführung, einem der spektakulärsten Kriminalfälle der deutschen Geschichte, gedauert. 160 Zeugen und Sachverständige sagten aus. Am 9. Juni 1980 fiel das Urteil: 15 Jahre Haft für Zlof wegen erpresserischen Menschenraubs und schwerer Körperverletzung.

Der Beginn dieses letztendlich jahrzehntelangen Kriminalfalles liegt am Abend des 14. Dezember 1976. Der 25-jährige Unternehmer-Sohn Richard Oetker verlässt frühzeitig eine Vorlesung an der Uni Weihenstephan bei München. Auf dem Parkplatz bedroht ihn ein Maskierter mit einer Waffe mit Schalldämpfer: „Das Ding macht nur klack.“ Oetker muss in einen Kastenwagen steigen, sich Handschellen anlegen und sich in eine sargähnliche Holzkiste legen – sie ist 1,45 Meter lang, Oetker misst 1,94.

Richard Oetker beim Prozess
Richard Oetker beim Prozess(c) imago/WEREK (imago stock&people)

„Ich dachte, jetzt ist es aus mit mir"

Oetker versucht vom ersten Moment an, sich Details wie Geräusche um ihn herum einzuprägen, seinen Geist zu beschäftigen, um nicht in Selbstmitleid zu verfallen. Um Oetker am Schreien zu hindern, ist die Kiste so präpariert, dass ab einer gewissen Lautstärke ein Stromstoß ausgelöst wird. Am Morgen nach der Entführung löst der Entführer die Vorrichtung aus – ihm zufolge unbeabsichtigt beim Öffnen des Tors der Garage, in dem der Kastenwagen parkt. „Durch den Stromschlag zogen sich meine Muskeln zusammen, die Gliedmaßen schlugen aus. Da mein Körper aber fixiert war, brachen meine Knochen. In dem Moment dachte ich, jetzt ist es aus mit mir“, wird Oetker später in einem Interview mit der „FAZ“ schildern.

Der Entführer fordert von Oetkers Familie 21 Millionen Mark. Zwei Tage nach der Entführung schickt er Oetkers Bruder August auf eine Schnitzeljagd quer durch München, die im Untergeschoss der Einkaufspassage Stachus endet. Der Geldkoffer verschwindet durch eine Stahltür, die sich nur von einer Seite öffnen lässt, die Zivilfahnder der Polizei können nicht eingreifen. Bald darauf wird Oetker schwer verletzt in einem im Wald abgestellten Auto gefunden. Nicht nur sind durch die Stromstöße mehrere Brustwirbel und beide Hüftgelenke gebrochen, durch die gekrümmte Haltung in der Kiste ist auch seine Lunge geschädigt. Oetker muss mehrfach operiert werden und bleibt sein Leben lang gehbehindert.

Die Suche nach seinem Entführer verläuft lange erfolglos. Erst nach rund zwei Jahren wird der 36-jährige Gebrauchtwagenhändler und Familienvater Zlof in seinem Haus in München verhaftet. Er hatte einen der registrierten Geldscheine aus dem Lösegeld bei seiner Bank einbezahlt, außerdem gaben Bekannte an, seine Stimme auf den von der Polizei veröffentlichten Telefonaufnahmen des Entführers zu erkennen.

Auftritt in Talkshow

Der folgende Indizienprozess lässt Beobachter zweifeln. Zeugen verstricken sich in Widersprüche, Zlof beteuert immer wieder seine Unschuld. Seinen plötzlichen Wohlstand will er dem Glücksspiel verdanken, auch den registrierten Schein habe er in einem Casino erhalten. Auch nach der Verurteilung bleibt Zlof bei seiner Version. Im Dezember 1993 bekommt er, einen Monat vor seiner Freilassung, einen Auftritt in der Talkshow „Schreinemakers", in dem er sich als Justizopfer inszeniert.

Dieter Zlof beim Prozess
Dieter Zlof beim Prozess(c) imago/WEREK (imago stock&people)

Gewissheit für die Öffentlichkeit gibt es erst Ende 1996. Da beschlagnahmt die Polizei das Manuskript zu seinem Buch „Die Oetker-Entführung“, das die Frau seines Anwalts niederschreibt. Darin gesteht Zlof die Tat erstmals öffentlich. Das Lösegeld habe er allerdings nicht. Doch bald darauf tappt Zlof in eine Falle eines verdeckten Ermittlers von Scotland Yard, der ihm den Umtausch der registrierten Scheine in London anbietet. Im Mai 1997 wird Zlof festgenommen, rund 12,5 Millionen Mark sichergestellt. Zlof hatte die Beute vergraben, während der Jahre im Gefängnis soll der Großteil verrottet sein. Ein britisches Gericht verurteilt den Entführer wegen versuchter Geldwäsche zu zwei Jahren Haft.

„Die Entführung hat mir Kraft gegeben"

Oetker schweigt während all dieser Zeit gegenüber der Öffentlichkeit. Er will seine Geschichte nicht öffentlich ausgeschlachtet sehen und ist empört über die Medien, die sich während des Prozesses nur für den Angeklagten interessierten. Doch als Zlof plant, die Filmrechte zu seinem Buch zu verkaufen und damit womöglich ein Vermögen zu verdienen, kommt Oetker ihm zuvor. Für den Film „Der Tanz mit dem Teufel“ (2001) Oetker erzählte er seine Geschichte. Die Entführung habe ihm „Kraft gegeben“ und ihm gezeigt, wie viel der Mensch aushalten könne, erzählt er in Interviews. Er empfinde keinen Hass gegen Zlof, vergeben wolle er ihm aber auch nicht. Zlof selbst zeigt ohnehin keine Reue: In seinem Buch stellt er sich als genialen Verbrecher dar, der die Polizei genarrt und nur einer reichen Familie etwas Geld genommen habe.

Nach der Verbüßung seiner zweiten Haftstrafe betreibt der Entführer zeitweise eine Imbissbude. Oetker scherzt mit einem Ermittler, man könne doch eigentlich einmal zum Essen vorbeischauen, denn „bezahlt ist schon".

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