Wien-Pötzleinsdorf

Dreiste Habgier prägte 1938 den noblen Vorort

Marie-Theres Arnbom: „Die Villen von Pötzleinsdorf“, Amalthea Verlag, 272 Seiten, 26 €.
Marie-Theres Arnbom: „Die Villen von Pötzleinsdorf“, Amalthea Verlag, 272 Seiten, 26 €.(c) Amalthea Verlag
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Ein schmuckes Buch erzählt Unschönes über manche Villa in Wien-Pötzleinsdorf.

Marie-Theres Arnbom ist eine flotte Erzählerin, aber eine recht unangenehme Nachforscherin. Das hat sie schon mit ihrem Werk über die Traunsee-Villen bewiesen. Jetzt hat sie ihr unmittelbares Lebensumfeld, Pötzleinsdorf, durchwandert. Wer aber auf einen nostalgischen Spaziergang zu den hübschesten Villen dieser noblen Gegend im 18. Gemeindebezirk hofft, wird enttäuscht, erbost, zumindest sehr betroffen sein. Und genau das bezweckt Marie-Theres Arnbom.

Denn es sind fast durchwegs gallbittere Erzählungen über menschliche Tragödien, die sich in dieser einstigen Sommerfrische vor Wien abgespielt haben, den viele reich gewordene Bürger zum Wohnsitz erwählt hatten. Darunter befanden sich jüdische Familien des Großbürgertums wie die Brochs, die Regenstreifs, Lemberger, Marmorek.

Als das Jahr 1938 alle bisher geltenden Wertvorstellungen auf den Kopf stellt, zeigen sich rasch bodenlose Rachsucht, unverhüllte Bosheit, flammender Neid und schlaue Hinterlist. Dieser Einsatz an Unverschämtheit zahlt sich aus, immerhin geht es um den dreisten Raub einiger herrschaftlicher Villen. 31 davon werden uns nähergebracht.

Fast alle haben überdauert, ihre Besitzerfamilien hingegen wurden in alle Winde zerstreut, Nachkommen meistens mit einem Bettel abgefunden, eine spezielle Wiener Könnerschaft nach 1945. Nichts mehr zu sehen ist hingegen von der Villa Regenstreif, wahrlich das prächtigste Gebäude entlang der Pötzleinsdorfer Straße. Die Liegenschaft erstreckte sich bis hinauf zur Starkfriedgasse, ein eindrucksvoller Park entstand um 1900. Den Reichtum verdankte die Familie Eissler dem Holz in Bosnien. Mit diesem unentbehrlichen Energieträger wurde Robert Josef Eissler unermesslich reich, was ihn 1923 das Leben kosten sollte. Sein Cousin und stiller Teilhaber Otto erschoss ihn in seinem Kontor am Lueger-Platz. Fritz Regenstreif, ein Kompagnon, kann den Besitz mit seiner Familie bis zu seinem Tod 1941 genießen, welchen Preis er dem Regime zu zahlen hatte, ist unbekannt. Mit seinem Tod erlischt jedoch das Abkommen, die Tochter kann mit drei Söhnen nach Italien flüchten, vorher verschenkt sie alles an Nachbarn.

1948 können die Nachkommen die devastierte Villa nur noch um einen Pappenstiel verkaufen. Ein Großbrand erledigt den Rest. Heute steht dort ein Studentenheim der Wirtschaftskammer. In diesem gesichtslosen Zweckbau begann übrigens die Karriere eines Jusstudenten aus Bad Goisern. Er sollte nach einer atemberaubenden Berg- und Talfahrt 2008 als Landeshauptmann von Kärnten im VW-Phaeton den Tod finden . . .

In der Pötzleinsdorfer Straße 123, also schon „weit draußen“, wie die Gersthofer zu sagen pflegen, hatte die Familie Winterstein ihren Lebensmittelpunkt. Robert Winterstein machte in der Zwischenkriegszeit Karriere als Staatsanwalt, dann als Generalanwalt und wurde als Minister des Schuschnigg-Regimes 1938 sofort von der Gestapo verhaftet.

Am 25. September wird er in Buchenwald eingeliefert und im Steinbruch erfüllt sich sein Schicksal. Mit rauchender Zigarette, die Arme weit ausgebreitet, geht er auf die Postenkette zu und fordert die erschrockenen Wächter auf, ihn zu töten. Erst beim dritten Mal zieht ein Scharführer seine Pistole und schießt den 67-Jährigen nieder. „Auf der Flucht erschossen“, heißt es offiziell. Marie-Theres Arnbom ist seine Urenkelin.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.06.2020)

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