Erst die Berichte über den Eichmann-Prozess 1961 öffneten mir die Augen über die damals jüngste Vergangenheit.

Wie Österreich Österreich wurde: Erinnerungen an die Nachkriegszeit

In meiner Prager Volksschule hatte ich noch die tschechische Hymne gelernt. Dort folgte bald „Deutschland, Deutschland über alles“. Als Flüchtlingskind in Tamsweg schließlich sollte ich Salzburg besingen. Ziemlich viele Hymnen für ein Kinderleben. Wie ich die Anfänge der Zweiten Republik erlebte.

Fünfundsiebzig Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs und dem Wiedererstehen Österreichs wird in allen Medien und auf allen Kanälen die Erfolgsgeschichte der Zweiten Republik gefeiert. Wir sind das Land der Berge und das Land am Strome, das Land der Skifahrer und der Musiker, das Land des Heurigen und des Wiener Schnitzels. Wir sind aus der Armut zu Wohlstand aufgestiegen und haben einen geachteten Platz unter den Staaten Europas. Das ist in der Tat eine beachtliche Leistung. Aber die Jahre, in denen unsere neue österreichische Identität begründet wurde, haben auch ihre weniger glanzvollen Seiten. Von diesen reden wir nicht so gern.

Der 8. Mai l945, der Tag der Kapitulation Hitlerdeutschlands, war für mich der Tag, an dem ich mit meinen Eltern und meinen Geschwistern unsere Heimatstadt Prag verlassen musste, zu Fuß und ohne Gepäck. Schon zwei Wochen später wurde in Wien eine österreichische Regierung angelobt. Wir verbrachten die nächsten Wochen und Monate auf einem Fußmarsch in Richtung Österreich, als Bettler unter Bettlern. Und als im Herbst das neue Schuljahr begann, saß ich in der vierten Klasse der Hauptschule in Tamsweg im Lungau, ein Flüchtlingskind, das schon bald eine Österreicherin werden sollte.

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