Gastbeitrag

Goldpreis: Die Sonnenseite der Volatilität

(c) Peter Kufner
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Der Goldpreis ist seit geraumer Zeit in starker Bewegung und erreicht Höchstwerte. Ganz anders als die Zinssätze traditioneller Sparformen.

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„Magisches Dreieck“ Sicherheit, Liquidität und Rentabilität?

Das altbekannte „magische Dreieck“ der Kapitalanlage bezieht sich in seiner traditionellen Form auf die Rentabilität, die Sicherheit und die Liquidität. Es ist aber bei genauerer Betrachtung weder magisch noch ein Dreieck. Es verbildlicht eigentlich nur ganz nüchtern das Spannungsverhältnis von Anlegerzielen. Im Lauf der Zeit sind noch weitere Ziele – insbesondere ethische und ökologische Aspekte – hinzugekommen, und das Dreieck wurde zum Vieleck. Den Kern bilden jedoch nach wie vor die miteinander konkurrierenden Rentabilitäts-, Sicherheits- und Liquiditätsziele.

Das lange Warten auf bessere Zinsen

Anleger, die auf traditionelle Sparformen eingenordet sind, sehen sich seit geraumer Zeit mit geringen oder keinen Zinsen konfrontiert und werden sich mit dieser Situation wohl noch länger abfinden müssen. Mit dem gleichzeitig gegebenen Kaufkraftverlust ist die Gelassenheit, mit der Sparer eine Änderung der Anlagezinsen erhoffen, bemerkenswert. Irgendwie wird man an Estragons und Wladimirs Warten auf Godot, jenes Stück gleichen Namens, in dem Samuel Beckett die Stimmung eines langen, vergeblichen und sinnlosen Wartens vermittelt, erinnert.

Vorschläge, das Anlegerverhalten in die Richtung höherverzinslicher Anlageformen zu lenken und sich gleichzeitig sowohl mit Gewinnchancen als auch mit Verlustrisken anzufreunden, führen bei vielen Anlegern zu hektischen Abwehrreflexen. Vielleicht aus dem einfachen Grund, weil sich das Eingehen auf Risken im Regelfall stärker auf das Gemüt des Anlegers schlägt als die Wahrnehmung von Chancen. Vermutlich aber auch, weil ein Doppelpack von Chancen und Risken mit Wahrscheinlichkeiten, die nicht jeder kennt und interpretieren kann, zu tun hat.

Kurse von Wertpapieren lassen sich nicht prognostizieren

In der Tat sind Wahrscheinlichkeiten mitunter verwirrend. Wie ist beispielsweise zu erklären, dass das Lotteriespiel „6 aus 45“, bei dem die Wahrscheinlichkeit eines richtigen Tipps bei 1 zu 8.145.060 liegt, so beliebt ist? Und wie man mit der subjektiven Einschätzung vollkommen danebenliegen kann, zeigt auch das sogenannte Geburtstagsparadoxon: Bei nur 23 zufällig anwesenden Personen beträgt die Wahrscheinlichkeit, dass zwei am gleichen Tag Geburtstag feiern, über 50 Prozent. Bei 57 Personen sind es übrigens kaum zu glaubende 99 Prozent.

Dass historische Kursentwicklungen und -schwankungen von Wertpapieren keine verlässlichen Prognosen zulassen, ist bekannt und nachvollziehbar, doch stärken lange Zeitreihen zumindest das Vertrauen in deren weitere Beständigkeit. Liegen jahrzehntelange Datenreihen vor, lässt sich das Kursverhalten sowohl in guten als auch in schlechten Zeiten beobachten. Selbstverständlich bleibt dem Investor die endgültige Gewissheit zwar auch verwehrt, doch spricht für eine Fortschreibung des Wertverhaltens mehr als für ein Ausblenden der vorliegenden Erfahrungen.

Betrachten wir – stellvertretend für andere fortgeschrittene Anlageformen – den anbieterneutralen Rohstoff Gold, so konnten in den vergangenen 20 Kalenderjahren folgende Kursentwicklungen festgestellt werden (Quelle: www.boerse.de): +1,15 % (2000), +7,95 % (2001), +5,74 % (2002), -0,57 % (2003), –2,31 % (2004), +34,67 % (2005), +10,91 % (2006), +36,60 % (2007), –6,10 % (2008), +23,06 % (2009), +39,38 % (2010), +11,74 % (2011), +6,12 % (2012), –30,37 % (2013), +13,59 % (2014), –2,19 % (2015), +12,57 % (2016), –0,98 % (2017), +3,38 % (2018), +20,98 % (2019).

In Anbetracht der beiden Extremwerte von –30,37 Prozent (2013) und +39,38 Prozent (2010) ist es zweifellos angebracht, eine solche Anlage als volatil zu klassifizieren. Das kann bei Anlegern entweder zu panikähnlicher Schnappatmung oder zu träumerischer Fantasie führen. Bei näherer Betrachtung der Daten zeigt sich, dass eine negative Performance in sechs Jahren eintrat und es in 14 Jahren zu einer positiven Performance kam. Somit haben sich 30 Prozent der ganzjährigen Anlagen als verlustbringend und 70 Prozent als gewinnbringend erwiesen.

Berechenbarkeit und Hausverstand

Möchte man es noch genauer wissen, könnte man für einzelne, mehrere oder alle Jahre das Verhältnis zwischen der Wertentwicklung und der -schwankung ermitteln. Je höher der Quotient aus der Division der Performance (prozentuelle Wertveränderung) durch die Volatilität (Standardabweichung der Wertschwankungen) ausfällt, desto attraktiver wird im Regelfall eine Anlage zu bewerten sein. Man wird jedoch bemerken, dass dabei die Anlagedauer eine wesentliche Rolle spielt. Übrigens folgen auch andere Kennzahlen, wie zum Beispiel die Sharp-Ratio, dieser Vorgehensweise.

Neben Berechnungen kann auch etwas Hausverstand von Vorteil sein: Erstens gibt die Volatilität Schwankungen nach oben und nach unten an und bildet demnach Gewinnchancen und Verlustrisken gleichermaßen ab. Eine negative Konnotation („Volatilität ist immer böse“) ist daher unberechtigt und irreführend. Zweitens fallen mit zunehmender Anlagedauer kurzfristige Kursschwankungen insgesamt geringer ins Gewicht, weil zwischenzeitlich eingetretene Kursgewinne und -verluste nicht realisiert werden.

Nach der wohlüberlegten Entscheidung für eine volatile Anlage ist man gut beraten, sich den täglichen Blick in Kursticker zu verkneifen und die langfristige Entwicklung mit einer Portion an Gelassenheit abzuwarten.

Der Autor

Prof. Gerhard Weibold (*1951) blickt auf langjährige Lehrtätigkeiten an Universitäten und Akademien zurück. Er ist Unternehmensberater sowie Geschäftsführer von Unternehmen in Österreich und Deutschland. Sein inhaltlicher Fokus ist seit geraumer Zeit auf das Thema der Finanzbildung gerichtet.


E-Mails an: debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.08.2020)

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