Experimentelle Physik

Das jahrtausendealte Rätsel der Reibungselektrizität

Der triboelektrische Effekt  erzeugt scheinbar aus dem Nichts Strom.
Der triboelektrische Effekt erzeugt scheinbar aus dem Nichts Strom. Menno van der Krift / Pixabay
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Wie kann es sein, dass man scheinbar aus dem Nichts elektrische Energie erzeugen und damit zum Beispiel ein Handy aufladen kann? Ein Team von Wissenschaftlern des IST Austria ist dem triboelektrischen Effekt auf der Spur und verfolgt dazu einen Multiskalenansatz.

So mancher hat es als Kind sicher probiert: Wenn man einen Luftballon am Kopf reibt, dann bleiben die Haare an der Ballonhülle kleben. „Dahinter steckt ein Prinzip, das seit Jahrtausenden bekannt ist, das schon der antike Philosoph Plato beobachtet hat, das man aber noch immer nicht vollständig enträtseln konnte“, sagt Scott Waitukaitis vom IST (Institute of Science and Technology) Austria in Klosterneuburg.
Ausgestattet mit einem Stipendium des Europäischen Forschungsrats und einem leistungsstarken Rasterkraftmikroskop zur Charakterisierung von Oberflächen, will er mit seinem Team ergründen, wie der triboelektrische Effekt – so der Name dieses geheimnisvollen Prinzips – genau zustande kommt. Mit dieser Kenntnis nämlich ließen sich unter anderem sogenannte Nanogeneratoren optimieren, die scheinbar aus dem Nichts Strom erzeugen. Und man könnte vielleicht sogar die Entstehung von Planeten vollständiger als bisher erklären.

Doch der Reihe nach. „Beim triboelektrischen Effekt handelt es sich um eine Form der Berührungselektrizität“, erklärt der Physiker. Was man weiß, ist, dass ein elektrischer Ladungsaustausch zwischen zwei Materialien stattfindet, wenn diese einander berühren oder aneinander reiben. Im Fall des eingangs beschriebenen Kinderexperiments hat der triboelektrische Effekt zur Folge, dass die Haare am Ballon haften bleiben. Auch das Knistern eines Pullovers beim Ausziehen ist darauf zurückzuführen. Aber es geht auch weniger trivial, dafür umso gefährlicher: Forschungen haben ergeben, dass Explosionen in Kohlenminen durch Knappen ausgelöst wurden, die im Kohlenstaub gingen, wobei es zum Ladungsaustausch zwischen Staubpartikeln und den Schuhen kam.

Nicht nur der zugrunde liegende Mechanismus der Reibungselektrizität, auch die Identität der übertragenen Teilchen – sprich Elektronen versus Ionen – ist in den meisten Fällen unbekannt. Waitukaitis hat bei seinen Experimenten bereits nachgewiesen, dass der Ladungsaustausch zwischen beiden Materialien nicht gleichmäßig geschieht, sondern dass es Stellen an den Materialoberflächen gibt, an denen der Austausch reger stattfindet als an anderen. Seine Vermutung: „Wasserspuren an den Oberflächen, für deren Zustandekommen die Luftfeuchtigkeit ausreicht, könnten eine Rolle spielen.“

Feuchtigkeit als Schlüssel?

Diese These möchte er im Rahmen seiner Forschung überprüfen, indem er mit dem Mikroskop die Feuchtigkeit der Materialoberflächen an verschiedenen Stellen misst und dies mit der jeweiligen Intensität des Ladungsaustauschs vergleicht. Die gewonnenen Erkenntnisse könnten den Wirkungsgrad von nützlichen Anwendungen des triboelektrischen Effekts erhöhen. Solche Anwendungen sind derzeit noch rar. „Für Nanogeneratoren, die Strom erzeugen, benötigt man im Prinzip nur zwei Materialien. Die kann man etwa in einen Schuh einlegen und erzeugt dann bei jedem Schritt Strom“, erläutert Waitukaitis. „Das reicht sogar zum Aufladen von Mobiltelefonen, dann wird unterwegs nie der Akku leer.“ Oder man kann den Stromimpuls an eine LED-Leuchte weiterleiten, die dann kurz aufflackert – genug, damit man sich im Dunkeln halbwegs zurechtfinden kann. Kupfer eignet sich gut, aber auch Plastik, Wolle oder andere Alltagsmaterialien taugen. Im Internet finden sich Anleitungen, wie man Nanogeneratoren mit Überraschungseiern, Alufolie und einem Gummiball herstellen kann.

Waitukaitis denkt freilich auch in größeren Dimensionen. Möglicherweise, so eine weitere These, ist die Reibung von Eiskristallen in der Atmosphäre für das Entstehen von Blitzen mitverantwortlich. Letztlich könnte der triboelektrische Effekt sogar bei der Entstehung von Planeten eine Rolle spielen: Er trägt – das vermuten zumindest manche Experten – dazu bei, dass Staubteilchen im All aneinander haften bleiben und sich zu Gestirnen entwickeln. So ereignet sich im Universum in großem Maßstab letztlich das Gleiche wie im Kinderzimmer, wenn der Nachwuchs mit Luftballons spielt.

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