Josef Klaus: Frommer Reformer – vor Kreisky

Josef Klaus Frommer Reformer
Josef Klaus Frommer Reformer(c) Die Presse (Archiv)
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Der ÖVP-Obmann wagte erstmals die Alleinregierung einer Partei. Autobahnen und ORF, Reformen ohne Ende – ein Rückblick zum 100. Geburtstag des Mölltaler Bäckerssohns.

Wenn der Mittelschüler Herbert Kaspar in den Sechzigerjahren zur Schulmesse in die Wiener Schottenkirche gehen musste, saß oft frühmorgens ein einsam Betender in der ersten Bankreihe. Es war der amtierende Finanzminister Josef Klaus von der ÖVP. Das hat den Schüler sehr beeindruckt.

Wenn Josef Klaus, schon als Bundeskanzler, von einer Bergtour mit seinem Freund, dem Dominikaner Franz-Martin Schmölz, und dem Begleiter Gerd Bacher todmüde heimkehrte, bat er den Pater noch um eine kurze heilige Messe in Hochgurgl. „Er ministrierte, ich war das ungläubige Volk“, berichtet Bacher. Er war zutiefst beeindruckt.

Als der Kanzler in Linz zu tun hatte, fuhr er mit seinem Sekretär Leo Wallner auf den Pöstlingberg. Nach der heiligen Messe dort oben fühlte er sich „gesäubert“ und begann sein Tagwerk. Wallner, der spätere Casino-Chef, war beeindruckt.

Der nationale „Bund Neuland“

Mehrmals durfte ich in den Neunzigerjahren mit Otto Schulmeister in die Döblinger Hartäckerstraße pilgern, wo das alt gewordene Ehepaar Klaus der ganze Stolz der Seniorenresidenz war. Schulmeister war noch aus der Zeit des national-katholischen „Bundes Neuland“ einer der ältesten Freunde des seit 1970 pensionierten Regierungschefs. Die „Reichsidee“ habe sie seinerzeit fasziniert, gaben die alten Herren zu, die nach 1938 – jeder auf seine Weise – Abschied von ihren Träumen nehmen mussten. Hitler hatte dies zerstört.

Der Mölltaler Bäckerssohn Klaus machte schon 1932 in Wien als Jusstudent von sich reden: Er war einer von drei Sprechern der „Deutschen Studentenschaft“, die damals schon nationalsozialistisch durchsetzt war. Klaus forderte in einem offenen Brief den Pharmakologen Ernst Peter Pick auf, das Amt des Dekans der Medizinischen Fakultät nicht anzutreten, da sich die Deutsche Studentenschaft nicht von einem Juden führen lassen wolle.

Von den „Schlagenden“ zum CV

In den Biografien wird diese Episode wohlweislich sorgsam ausgespart. Die Deutsche Studentenschaft wurde nämlich 1933 von den Christlichsozialen wegen NS-Nähe verboten. Klaus orientierte sich um: Es waren quasi 180 Grad hin zur katholischen CV-Verbindung „Rudolfina“, deren Ehrenband er zeitlebens demonstrativ führte.

Der Cartellverband wusste, was er an Klaus nach 1945 hatte. Aus dem kleinen Halleiner Rechtsanwalt war inzwischen eine wichtige Personalreserve der Volkspartei geworden. Von 1949 bis 1961 war er nicht nur Salzburger Landeshauptmann, sondern eine immer wichtigere Stimme in dem sehr instabilen Konstrukt namens ÖVP mit ihren Landes- und Teilorganisationen. Sein ausgeprägtes Sendungsbewusstsein ließ ihn schließlich nach Wien als Finanzminister gehen, obwohl er als Landeshauptmann ein weitaus bequemeres Dasein gehabt hätte. So blieb Klaus auch der einzige „Landesfürst“, der sich je den Mühen eines Regierungsamts in Wien unterworfen hat.

Mit Klaus als Finanzminister in einer VP-dominierten Großen Koalition waren die Konflikte vorprogrammiert. Nicht nur die sozialistischen Regierungskollegen fürchteten sein sparsames Regiment. Viel mehr verärgert noch waren die „eigenen“ Minister, deren Begehrlichkeiten Klaus mit sturer Beharrlichkeit abwehrte. Ein Budgetdefizit kam für ihn nicht infrage, seine dozierende Art wurde am Kabinettstisch bisweilen verhöhnt: „Danke, Herr Lehrer!“ Und als er sah, dass ihn der schwache, weil viel zu umgängliche VP-Kanzler Alfons Gorbach nicht stützen konnte, trat er mit Aplomb zurück.

Sieg über die alte Garde

Er schmollte in Salzburg nicht lange. Denn solch ein dynamischer Weltverbesserer war genau nach dem Geschmack der Reformergruppe innerhalb der Volkspartei. Bei einem Richtungsparteitag in Klagenfurt siegten die jüngeren Reformkräfte mit Klaus und Hermann Withalm (als Generalsekretär) über die alte Garde (Heinrich Drimmel, Alfred Maleta). Wie immer in der ÖVP wurde eine ideologische Weichenstellung persönlich genommen. Die Feindschaft des Maletas war Klaus ab sofort gewiss.

1964 verdrängte Klaus den Steirer Gorbach auch aus dem Kanzleramt. Der mächtige Landeshauptmann Josef Krainer hatte nicht unwesentlichen Anteil am Sturz seines Landsmannes und persönlichen Freundes Gorbach.

Und damit beginnt eines der spannendsten Kapitel österreichischer Nachkriegsgeschichte. Mit unglaublichem Elan ging der 53-jährige Salzburger in Wien ans Werk. Die immer wiederkehrende Formel vom „Reformkanzler Kreisky“ stimmt nur halb. Der erste große Reformer hieß Josef Klaus. Dennoch sind seine Verdienste heute weitgehend unbekannt.

Kabinett der Besten

Allein mit der Liste seiner engsten Mitarbeiter ließe sich eine halbe Bundesregierung bilden: Alois Mock, Josef Taus, Leo Wallner, Michael Graff, Thomas Klestil, Fritz Höss, Karl Pisa, Heinrich Neisser... Alle haben nach ihrer Zeit bei Klaus die große Karriere gemacht. Und fast alle von ihnen gehörten dem Cartellverband an. Auch in der Regierung saßen bevorzugt CVer. Über allen thronte der nahezu allmächtige Präsidialchef Eduard Chaloupka („Bajuvaria“), der auch die zweite und dritte Beamtenetage mit zuverlässigen CV-Brüdern besetzte.

Diesem elitären Zirkel konnte naturgemäß die erste Frau in einem Ministeramt nicht angehören. Im Gegenteil: Die Christgewerkschafterin Grete Rehor, gleich alt wie ihr Jugendfreund Klaus, kam aus ganz einfachen Verhältnissen, war Textilarbeiterin, hatte sich als Kriegswitwe allein hochgearbeitet und ein Nationalratsmandat errungen. Ihre Ernennung war auch als „Friedensangebot“ an die SP-dominierten Gewerkschaften gedacht. Es funktionierte gar nicht schlecht.

Mutige ORF-Reform

Die Universitätsreform zählt zu den Leistungen der Regierung Klaus, die nach einem fulminanten „schwarzen“ Wahlsieg ab 1966 nur noch aus ÖVP-Ministern und Parteiunabhängigen bestand. Der rasche Ausbau der Autobahnen wurde zwar durch einen Vergabe-Skandal überschattet, aber das Straßennetz wuchs; eine Wohnbaureform wurde ebenso schlecht der Öffentlichkeit „verkauft“ wie die Verhandlungen mit der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft; die Öffnung zum Wirtschaftsraum der Ostblockländer, die mühsamen Verhandlungen mit Italien, die zum „Südtirol-Paket“ führten; der erstmalige Dialog zwischen Politik und Wissenschaft; die ersten Vorarbeiten für eine UN-City in Wien – all das hat Klaus durchgesetzt. Und er konnte mit dieser erstmaligen Alleinregierung allen Unkenrufen trotzen, die vor einem neuen Bürgerkrieg zwischen den „Lagern“ warnten.

Er tat noch Mutigeres: Er hat nach dem Rundfunk-Volksbegehren der parteiunabhängigen Zeitungen sein Versprechen eingehalten und ein ORF-Gesetz geschaffen, das für Österreich einmalig war. Gerade Klaus, der wahrlich kein PR-Genie war, hat mit diesem Gesetz 1966 mehr für die Modernisierung von Kommunikation und Information in Österreich getan als jeder andere Kanzler vor und nach ihm.

In nobler Art hat Paul Lendvai in seinen Erinnerungen ein Charakterbild von Josef Klaus gezeichnet.

Plötzlicher Rücktritt

Sein Rückzug freilich kann nicht als Lehrbeispiel herangezogen werden. Noch am Wahlabend mit der Niederlage 1970 verabschiedete sich Klaus von der Politik. So konsequent diese Haltung erscheinen mag, sie hat seiner Partei schwer geschadet. Er hätte mit der FPÖ weiter regieren können – er hat dies als „Koalition der Verlierer“ abgelehnt. Er hätte die VP zumindest ein Jahr noch in der Opposition führen können – er lehnte auch dies ab und ließ andere den Karren ziehen. Hermann Withalm opferte sich.

Dreißig Jahre lang lebte Klaus danach als schweigender Pensionist. Er nahm nie Stellung zur weiteren politischen Entwicklung des Landes, er hinterließ keine Memoiren oder weltanschauliches Rüstzeug. Seine Frau Erna hat das zweifellos sehr gefreut: Sie hat ihn oft in Gegenwart anderer gedrängt, endlich die Politik zu lassen. Und ihr hat Josef Klaus ein Leben lang gefolgt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.08.2010)

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