Klappe hoch. Der „Picture Desk“ beherrscht beides ganz und gar: Tisch und Rahmen.
Design

Möbel: Wunderbar wandelbar

Flexibel, vielseitig einsetzbar, team- und aufnahmefähig, bestens ausgebildet und langlebig sollen sie sein. Die Ansprüche ans Können unserer Möbel sind gestiegen.

Der überaus beengte Wohnraum während ihres Auslandssemesters in Paris hat für die damalige Industrial-Design-Studentin Verena Lang die Weichen für ihren Designfokus gestellt. Die Grazerin erdachte für ihr Label Ivy Design den „Picture Table“: Dabei handelt es sich um einen Ess- oder Arbeitstisch, der in Sekundenschnelle in einen minimalistischen Rahmen für Kunstwerke, Fotos, Spiegel oder Kreidetafeln transformiert werden kann und damit als „Space Saver“ fungiert.

Den Holztisch mit unterschiedlichen Oberflächenfurnieren oder Lackierungen gibt es als fix an der Wand befestigte oder komplett abnehmbare Variante – der aufwendige Schnappmechanismus ist gemeinsam mit zwei steirischen Betrieben entwickelt worden. „Mir ist es wichtig gewesen, dass die zweite Funktion nicht gleich ersichtlich ist und als Überraschungseffekt funktioniert.

Klappe zu. Die Sammelbox ist das Universalgenie im heimischen Betrieb.
Klappe zu. Die Sammelbox ist das Universalgenie im heimischen Betrieb.(c) Stadtnomaden

Einen herkömmlichen Klapptisch erkennt man sofort. Beim ,Picture Table‘ handelt es sich um einen vollwertigen Tisch und einen vollwertigen Bilderrahmen. Ich wollte keine halbe Lösung für Notfälle.“ Gerade multifunktionelle Objekte hätten zwar oft originelle Aspekte, „erweisen sich dann im Gebrauch aber weder als praktisch noch als stabil“, beschreibt Lang ihren Anspruch, das Gegenteil zu beweisen.

Heute so, morgen anders

Die Anforderungen an das Mobiliar sind jedenfalls mehr denn je Veränderungen unterworfen, das haben die vergangenen Monate besonders intensiv zutage gefördert. Gerade im begrenzten Wohnraum wird nach neuen Optionen gesucht, aber nicht nur dort. „Multifunktionalität besteht auch darin, transversale Produkte zu schaffen, die man überall einsetzen kann, beispielsweise sowohl im Business- als auch im Privatbereich.

Die Objekte sollten nicht nur durch ihre Anmutung im Design überzeugen, sie haben durch ihre Integrationsfähigkeit auch einen Mehrwert,“ sagt Thorsten Heiling von Vitra und verweist dabei unter anderem auf den „Aluminium Chair“, „er passt sich ins restliche Gefüge einfach gut ein und ragt nicht heraus.“ Der Klassiker von Designehepaar Charles und Ray Eames wurde 1958 ursprünglich für das Privathaus eines Kunstsammlers in Columbus entworfen. Leuchttürme der Designgeschichte fügen sich in den Veränderungsprozess der Einsatzbereiche von Produkten besonders gut ein, so Heiling, und werden damit auch Ansprüchen an eine nachhaltige Nutzung gerecht.

»„Gutes Design passt sich ins restliche Gefüge gut ein.“«

Thorsten Heiling

Multifunktionalität besteht nicht allein in einer Vielzahl an Funktionen, sondern auch in einem Mehr an Bühnen, die damit bespielt werden können. Das entspricht vollkommen dem Zeitgeist. „Das Büro ist nun überall. Ein und dieselbe Fläche kann morgen schon ein Besprechungsbereich sein – genauso wie der Esstischsessel auch als Home-Office-Sessel benutzt wird“, sagt Heiling. Mit seinen stufenförmig angeordneten Plattformen vereint der Vitra-Entwurf „Stool-Tool“ Stuhl und Tisch gleich in einem Möbel. Die pultartige Rückenlehne dient als Arbeits- und Ablagefläche, das Teil macht verschiedene Sitzpositionen und Sitzrichtungen möglich – indoor und outdoor. Die organisch geformte Möbelskulptur „Living Tower“ von Verner Panton lässt sich auf vier Ebenen nutzen. Der stabile Sitzturm aus Birkenschichtholz ist über zwei Meter hoch und mit Polstern bezogen. Seine verschiedenen Nischen bieten Sitz- und Liegepositionen zur Kommunikation und zum Relaxen.

Nicht verkorkst. Der „Cork Family“-Hocker von Jasper Morrison ist auch ein Tisch.
Nicht verkorkst. Der „Cork Family“-Hocker von Jasper Morrison ist auch ein Tisch.(c) Vitra

Dynamisches Solo

Nicht Tisch und Stuhl allein genügen den Anforderungen an sich ständig verändernde Bedingungen und Gegebenheiten. Die „Stadtnomaden“ Linda und Oliver Krapf haben mit „frank & frei“ ein dynamisches Plattformbett geschaffen, mit dem es sich auf verschiedene Wohn- und Lebenssituationen reagieren lässt. Das in Rahmenbauweise konstruierte Bett besteht aus vier Elementen, die sich zu einer luftig wirkenden Auflage für Matratzen verschiedener Breite verbinden lassen. Bei der Bettversion mit 180  Zentimetern Breite können alle Matratzen von 140 bis 180 Zentimetern aufgelegt werden. Je nach Wahl und Position der Matratze verbleibt seitlich ein Randbereich, der das Polsterteil optisch einfasst und auch einmal Ablage sein kann. Grafisch anmutende Beine und Lehnenteile unterstützen die Dynamik, die von der Formgebung des Bettes ausgeht.

»„Schon allein der Gedanke der Beweglichkeit beschwingt.“«

Linda Krapf

„Multifunktionalität an und für sich ist für uns aber eher hintergründig“, will auch Krapf den Ansatz noch breiter verstanden wissen, „zumeist tritt nämlich eine Funktion in den Hintergrund. Das klassische Beispiel ist das Schlafsofa, das weder ein vollständiges Bett noch ein vollständiges Sofa ist und 90 Prozent der Zeit in einem Zustand verharrt.“ Die beiden Designer sind daher bestrebt, universeller zu denken, „unser Bett ,frank & frei‘ beispielsweise ist auch für die Anforderungen an Matratzengrößen und Schlafgewohnheiten in verschiedensten Ländern geschaffen“.

Der Universalbehälter „Sammler“ mit klappbarem Holzdeckel kann als schlichte Aufbewahrung für unterschiedlichste Inhalte dienen, die klare Geometrie und die zurückhaltende Farbgebung erlauben einen Einsatz als Wäschetonne, Papierkorb oder Schirmständer, in der niedrigeren Variante auch als Beistelltisch oder Zeitschriftensammler.

Auch andernorts geht es oft ums sprichwörtliche Detail im alltäglichen Handlungskreislauf: Die „Vöslauer Recyclingtonne“ designed by Walking Chair ist eine Sammelstelle für bis zu 60 PET-Flaschen. Die Sammelbox kann auch als Hocker genutzt werden. Für die „Artek Kiulu Bench“ ließ sich Designer Koichi Futatsumata von der öffentlichen Badekultur in Finnland und Japan inspirieren. Der zylindrische Stauraum zu beiden Seiten der Bank erlaubt die Ablage von Handtüchern und Kosmetikartikeln, Magazinen oder Spielzeug im persönlichen Wellnessbereich und darüber hinaus. Bei Boconcept wird das Sofa „Osaka“ zum Bett, der „Chiva“-Couchtisch zum Esstisch oder Arbeitsplatz.

Stark geformt. Über zwei Meter misst der „Living Tower“ zum Liegen, Sitzen, Relaxen.
Stark geformt. Über zwei Meter misst der „Living Tower“ zum Liegen, Sitzen, Relaxen.(c) Vitra

Smarte Stücke

„Cleverer, nicht kleiner“, gibt Katharina Jummer, Interiorarchitektin bei Boconcept, als Prämisse aus, „der Weg liegt im Minimalismus nicht in übermäßig vielen Funktionen“. Das gilt auch, wenn das Bett zur Stauraumlösung, der Esstisch dank ausklappbarer Mittelplatte zur gemütlichen Tafel für Gäste wird. Wichtig sei aber auch, dass das Schlafsofa „trotz einer anderen Sitztiefe, einer anderen Sitzhöhe und einer härteren Polsterung den vollen Sitzkomfort eines gewöhnlichen Sofas und dank gefedertem Lattenrost und vollwertiger Matratze Schlafkomfort bietet.“

„Die Funktion darf nie leiden“, gibt Krapf ganz allgemein als Marschrichtung vor. Nicht nur Objekte sollten Lebensphasen begleiten, auch bei Räumen im privaten Bereich gilt es, universell nutzbarer zu denken. Die Coronazeit habe da einiges vor Augen geführt, etwa, dass sich das Geschirrregal als Hintergrundbild bei der Videokonferenz im Home-Office als suboptimal erweist und mehr neutrale Flächen notwendig und wichtig sind. Das Stadtnomaden-Küchenmodell „A la carte II“ kann durch seinen modularen Aufbau in neue Wohnumgebungen mit umziehen und auf jedwede Anschluss- und Raumsituation flexibel reagieren, „schon allein der Gedanke der Beweglichkeit beschwingt“, sagt Krapf. Multifunktion ist ohnehin nicht überall das oberste Gebot: „Der Esstisch ersetzt den Schreibtisch auf Dauer nicht. Vielmehr richten sich viele zum Arbeiten ein, etwa mit Rollcontainern und ergonomischen Schreibtischstühlen“, sagt Jummer, „professionelle Businesslösungen ziehen zu Hause ein.“ Das Leben bleibt Veränderung, das Mobiliar macht mit.

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