Intelligente Energiesysteme

Ein „Gehirn“ soll thermische Energie klimafreundlicher machen

Die Energieerzeugung in Biomassekraftwerken steht ebenfalls im Fokus.
Die Energieerzeugung in Biomassekraftwerken steht ebenfalls im Fokus. APA/HELMUT FOHRINGER
  • Drucken

Die Erzeugung und die Nutzung von thermischer Energie klimaschonender zu machen – das haben sich die Datenanalyse-Experten eines neuen Vorarlberger Forschungszentrums zum Ziel gesetzt. Sie arbeiten dafür mit lokalen Unternehmen zusammen.

„Ziel muss sein, erstens weniger Strom zu verbrauchen, und zweitens diesen wenigen Strom verstärkt aus erneuerbaren Quellen zu schöpfen“, sagt Markus Preißinger von der Fachhochschule Vorarlberg. Im Mittelpunkt seiner Forschung stehen Vorgänge, die mit thermischer Energie arbeiten. Das kann beispielsweise die Heizung von Wohngebäuden mit Hilfe von Wärmepumpen sein, aber auch der Kühlprozess im Rahmen der Lebensmittelproduktion. Die Energieerzeugung in Biomassekraftwerken steht ebenfalls im Fokus. Dort, so ist der Wissenschaftler überzeugt, ist viel Optimierungspotenzial vorhanden. Das im September an der FH gegründete Josef-Ressel-Zentrum für Intelligente Thermische Energiesysteme, dem Preißinger als Leiter vorsteht, befasst sich vor allem damit, Möglichkeiten aufzuzeigen, um dieses Potenzial zu nutzen.

Ausgangspunkt ist die Vielzahl von Daten, die beim Betrieb thermischer Anlagen laufend durch Sensoren erfasst und gespeichert wird. „Den Unternehmen fehlen jedoch Zeit und Know-how, um diese Daten nicht nur abzulegen, sondern auch einen Nutzen daraus zu ziehen“, skizziert Preißinger, wo er mit seinem Expertenteam ansetzen will. „Wir geben den thermischen Energiesystemen ein Gehirn.“ Konkret: Algorithmen sollen mit dem vorhandenen Datenmaterial gefüttert werden, um daraus Verbesserungsmöglichkeiten abzuleiten.

Beispiel Wärmepumpen: „Wenn 10.000 Stück eines Herstellers täglich in aller Welt ihre Arbeit verrichten, dann sammeln sich dabei Millionen von Daten an, die man auswerten und in die Entwicklungsarbeit an künftigen Modellen einfließen lassen kann.“ Auf diese Weise ließe sich der Wirkungsgrad der neuen Pumpengeneration erhöhen, sprich: der Strombedarf senken. „Wenn diese intelligenten Geräte auch noch mit einem Wetterdienst verknüpft sind und dann heizen, wenn viel Solarstrom im Netz ist, nutzt man für den wenigen Strom, den man benötigt, auch noch erneuerbare Energie.“

Einer der fünf Industriepartner des Josef-Ressel-Zentrums ist der Vorarlberger Käsehersteller Rupp. „Die Optimierung der Kälteanlagen und Verdampfer sowie die daraus resultierende Reduzierung von Energie“ führt Vorstandsmitglied Manfred Pipo als Ziel der Zusammenarbeit an. Preißinger erklärt: „Wir sind hier gerade in der Phase der Datenauswertung, um Methoden zur verbesserten Betriebsführung zu entwickeln. Kühlsysteme in der Lebensmittelindustrie arbeiten normalerweise mit hohen Redundanzen, um etwaige Ausfälle einzelner Komponenten auszugleichen. Wenn man allerdings alle vorhandenen Daten intelligent auswerten kann, dann lässt sich verlässlich vorhersagen, wann das System gewartet werden muss, um eben nicht auszufallen.“ Somit können Redundanzen vermieden und Ressourcen gespart werden.

Algorithmus ersetzt Bauchgefühl

Vorausschauende Wartung sei bereits seit Jahren Standard im intelligenten Gebäudemanagement, werde aber in vielen Bereichen der Industrie noch nicht optimal umgesetzt. „Was wir wollen, ist, den Unternehmen dabei behilflich zu sein, die ohnedies vorhandenen Betriebsdaten dafür zu nutzen.“ Dazu bringen die Experten des Josef-Ressel-Zentrums ihre Fachkenntnis in Bereichen wie Verfahrens- und Prozesstechnik, Thermodynamik, Energiesystemanalyse und Data Science ein.

Biomasse gilt trotz mancher Vorbehalte als vielseitigster aller erneuerbaren Energieträger, weshalb sich die Forscher auch darauf konzentrieren. „In Kraftwerken wollen wir das Bauchgefühl der Betriebsleiter, die ein Gespür dafür haben, wann zum Beispiel eine Pumpe nicht mehr rund läuft, durch einen Algorithmus ersetzen.“ Dieser vergleicht die aktuellen Systemdaten mit historischen und erkennt Muster, die auf einen drohenden Komponentenausfall hindeuten. Der schadhafte Teil wird dann rechtzeitig ausgetauscht, sodass es zu keinem Leistungsabfall kommt. „Man hat oft den Eindruck, dass das komplette Energiesystem der Zukunft elektrisch sein wird“, gibt Preißinger zu bedenken. „Dabei wird aber vergessen, dass thermische Systeme in vielen Bereichen notwendig bleiben werden und deren Optimierung daher aus Klima- und Umweltsicht unumgänglich ist.“

LEXIKON

Thermische Energie wird umgangssprachlich oft als Wärmeenergie bezeichnet, weil sie sich vergrößert, wenn ein Körper Wärme aufnimmt. Ihre Zunahme muss sich aber nicht unbedingt in einer Temperaturerhöhung ausdrücken, sondern kann sich auch in einer Änderung des Aggregatzustands äußern. Wasser beispielsweise wird bei Erhitzung zu Dampf, bei Abkühlung zu Eis. Die Energie kommt durch die Mobilität der Atome und Moleküle zustande, die sich bei Erwärmung erhöht. Jeder Stoff besitzt ein Grundmaß an thermischer Energie, die durch technische Maßnahmen nutzbar gemacht werden kann.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.10.2020)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.