Polizeiübergriff

Späte Gerechtigkeit nach Videobeweis

Kameras, die die Szene einfangen, haben auch präventive Wirkung.
Kameras, die die Szene einfangen, haben auch präventive Wirkung. (c) Getty Images (George Frey)
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Voriges Jahr wurde ein Demonstrant von Polizisten verprügelt. Das Verfahren wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt wurde erst jetzt, nach 15 Monaten, eingestellt.

Wien. Die Digitalisierung bewirkte eine mit der Erfindung des Rades oder der Druckerpresse vergleichbare Veränderung der Lebensrealität. Smartphones erschlossen neue Kommunikationswege und führten zu einer beispiellosen Technisierung des Alltags. Das Verhältnis zwischen Einzelpersonen und öffentlichen Institutionen blieb davon nicht unberührt. Smartphones ermöglichen unter anderem die jederzeitige Ton- und Bildaufnahme von beliebigen Vorgängen, somit auch von staatlichem Handeln. Zuletzt erschütterte ein im Internet verbreitetes Video über einen gewalttätigen Polizeieinsatz mit Todesfolge in den USA weite Teile der Welt. Auch in Österreich brachte ein per Smartphone angefertigtes und veröffentlichtes Video einen Polizeiübergriff zutage.

Zu sehen sind acht Polizisten nach Auflösung einer Sitzblockade im Zuge einer Demonstration, von denen vier einen Demonstranten auf dem Boden fixieren und einer ihm Schläge in den Nierenbereich versetzt. Im Bericht an die Staatsanwaltschaft hielten die vier beteiligten Polizeiorgane fest, dem Betroffenen sei – wegen seines Widerstands – ein Schlag „geringerer“ und ein Schlag „höherer Intensität“ versetzt worden. Auf Grundlage des Berichtes leitete die Staatsanwaltschaft gegen den Betroffenen ein Verfahren wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt ein.

Die Verfasser des Berichts ahnten vermutlich nicht, dass ein unbeteiligter Dritter diesen Teil der Amtshandlung gefilmt hatte und die Aufnahme am nächsten Tag veröffentlichen würde. Auf dem Video sind, nicht wie im Bericht dargestellt, zwei, sondern neun gezielte Faustschläge in die rechte Nierengegend zu sehen. Widerstandshandlungen des Betroffenen sind nicht wahrzunehmen. Dennoch setzte die Staatsanwaltschaft das Strafverfahren gegen den Betroffenen fort, und zwar mit Billigung durch die Oberstaatsanwaltschaft, die mehrfach um Rechtschutz ersucht worden war.

Das ebenfalls mit dem Vorfall befasste Verwaltungsgericht, zuständig für Rechtsverletzungen durch Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt, stellte in seinem maßgeblich auf die Videoaufnahme gestützten Urteil die Rechtswidrigkeit des Gewalteinsatzes und die dadurch bewirkte Verletzung der Menschenwürde des Betroffenen fest. Den Bericht bezeichnete es (in den hier relevanten Stellen) als schlicht tatsachenwidrig. Erst nach öffentlichem Bekanntwerden dieses Urteils, somit Monate nach dem Vorfall, leitete die Staatsanwaltschaft gegen die Verfasser des Berichts Ermittlungen wegen Amtsmissbrauchs ein. An der Rechtslage lag die verzögerte Reaktion nicht. Die Staatsanwaltschaft wusste ab Veröffentlichung des Videos, somit einen Tag nach dem Vorfall, dass der Polizeibericht objektiv falsch war.

Staatsanwaltschaft säumig

Betroffene polizeilicher Übergriffe können, wie der Sachverhalt zeigt, selbst bei Vorliegen von Videobeweisen nicht mit erwartbarer Rechtsanwendung rechnen. Das Verfahren gegen den Betroffenen dauerte 15 Monate, bis es vor wenigen Tagen – auf seinen Antrag hin – eingestellt wurde.

Dass Videoaufnahmen insbesondere im Zusammenhang mit polizeilichem Handeln einen Paradigmenwechsel bedeuten könnten, deutet eine höchstgerichtliche Entscheidung an (6 Ob 6/19d). Der OGH hatte über das Unterlassungsbegehren eines Polizeibeamten zu entscheiden, der sich einerseits durch das (identifizierende) Filmen während eines Einsatzes und andererseits durch die nachfolgende Veröffentlichung dieser Aufnahme in seinen Persönlichkeitsrechten verletzt sah. Den ersten Teil des Begehrens verwarf das Gericht: Das Filmen während einer Amtshandlung dringe nicht in die Privat- oder Geheimnissphäre von Polizeiorganen ein, sie befänden sich während eines Einsatzes in Ausübung ihres Berufes, wo die Möglichkeiten der freien Entfaltung der Person ohnehin eingeschränkt sind. Das Filmen haben Polizeiorgane daher zu dulden.

Der OGH fügte hinzu, dass Dokumentations- und Beweiszwecke das Filmen einer Amtshandlung legitimieren. Filmenden ist damit ein weiteres Argument für die Zulässigkeit der Aufnahmen in die Hand gegeben. Die Entscheidung enthält eine weitere hervorhebenswerte Aussage: „Die Staatsgewalt muss bei einem hoheitlichen Einsatz mit Zwangsgewalt akzeptieren, dass diese Vorgänge festgehalten werden, zumal dadurch auch ein gewisser präventiver Effekt gegen allfällige rechtswidrige Übergriffe erreicht wird.“ Zu dieser Feststellung sah sich der OGH veranlasst, obwohl keine Hinweise vorlagen, dass Übergriffe konkret zu befürchten waren oder unmittelbar bevorstanden. Dem Höchstgericht war es offenbar ein Bedürfnis mitzuteilen, dass es rechtswidrige Übergriffe durch Polizeiorgane als Problem wahrnimmt, dem Videoaufnahmen entgegenwirken können. Es schreibt den Videoaufnahmen sogar präventive Wirkungen zu. Erstaunlich, weil Prävention üblicherweise nur staatlich verhängten Sanktionen zugedacht wird.

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