U-Ausschuss

Sobotka gegen den Rest der juristischen Welt

Sobotka sieht kein rechtliches Problem in seiner Doppelrolle.
Sobotka sieht kein rechtliches Problem in seiner Doppelrolle.APA/HERBERT P. OCZERET
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Der Erste Präsident des Nationalrats meint, es gebe für ihn keine rechtlich wahrzunehmende Befangenheit, weil sich im Gesetz keine entsprechende Regel finde. Es handelt sich aber um einen allgemeinen Rechtsgrundsatz.

Wien. Ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss arbeitet unter dem Vorsitz des Ersten Präsidenten des Nationalrates. Die Verfahrensordnung für solche U-Ausschüsse enthält keine ausdrückliche Regelung für den Fall, dass der Vorsitzende selbst als Auskunftsperson geladen wird. Dass dies zu Problemen im Zusammenhang mit Befangenheit führt, ist an sich sehr naheliegend und (fast, weil der amtierende Vorsitzende des U-Ausschusses „Ibiza“ das anders sieht) ebenso allgemeine Auffassung wie der Umstand, dass die Rechtsgrundlagen und vor allem die Verfahrensordnung für parlamentarische Untersuchungsausschüsse (VO-UA) dafür keine ausdrückliche Regelung enthalten; darauf beruft sich auch Sobotka.

Vorsitz und Auskunftsperson

Der U-Ausschuss „Ibiza“ tagt also unter dem Vorsitz einer der Auskunftspersonen: Der Erste Präsident des Nationalrats, Wolfgang Sobotka, ist nämlich auch als Auskunftsperson vom U-Ausschuss schon geladen worden und könnte dies immer wieder werden, weil er im Dunstkreis des Ibiza-Themas tätig war und ist. Das ist eine Situation, die mit dem Vorwurf der Befangenheit belastet ist: Der U-Ausschuss unter Sobotkas Vorsitz hat unter anderem auch das Verhalten und die Aussagen der Auskunftsperson Sobotka abschließend und objektiv zu beurteilen. Auch diese Auffassung wird allgemein so vertreten, und zwar auch von Sobotka, der aus der VO-UA aber ableitet: Auch wenn ich befangen bin, macht das gar nichts, weil die VO-UA die Befangenheit nicht regelt. Ein ORF-Berater, der Politikwissenschaftler Peter Filzmaier, sieht das ebenso (Morgenjournal Ö1, 7. 10. 2020).

Sobotka und Filzmaier ist aber entgegenzuhalten, dass ihre Rechtsauffassung sicherlich so nicht stimmt. Im Gegenteil, ihre Rechtsauffassung (wonach sich aus dem Fehlen einer ausdrücklichen Regelung ergäbe, dass Befangenheit keinen rechtlich bedeutsamen Umstand darstellt) verwundert sehr, weil damit das Potenzial möglicher, vor allem auch wissenschaftlicher Rechtserkenntnis nicht einmal ansatzweise ausgeschöpft worden ist, obwohl das für eine seriöse Beurteilung zwingend ist.

Sobotkas und Filzmaiers Ergebnis würde doch nur dann eintreten, wenn vom Gesetz, also der VO-UA, Befangenheitsgründe ausdrücklich als unmaßgeblich erklärt worden wären. Das ist aber gerade nicht der Fall. Das bedeutet aber in Konsequenz dessen zwingend, dem unter Anwendung aller anerkannten Interpretationsmethoden nachzugehen und in substanziellerer Weise, als dies Sobotka und Filzmaier getan haben und tun.

Es soll im Folgenden nicht Thema sein, was Sobotka tut oder getan hat. Untersucht soll lediglich werden, ob nicht doch auch im Verfahren der parlamentarischen U-Ausschüsse aus dem Gesamten der österreichischen Rechtsordnung dennoch der Grundsatz der Befangenheit mit der Pflicht zur Amtsenthaltung rechtlich Geltung besitzt. Wenn ja, dann hätte Sobotka die Pflicht, den Vorsitz aufzugeben, wenn nein, dann eben nicht.
Ansatz ist und bleibt die Wortinterpretation. Damit fangen aber erst die Rechtsprobleme an: Enthielte die VO-UA ausdrücklich die Regelung, (auch) ein befangener Erster Präsident hat den Vorsitz zu führen, gäbe es auf dieser Ebene überhaupt kein Problem mehr, weil das dann eben ausdrücklich so geregelt wäre.

Aber dem ist nicht so, außerdem wäre eine solche Regelung verfassungsrechtlich wohl unzulässig. Der „Richter in eigener Sache“ würde wohl jedenfalls dem verfassungsrechtlichen Rechtsstaatsprinzip widersprechen. Auch deshalb ist in Anwendung aller klassischen Interpretationsmethoden der Frage nachzugehen, ob es einen allgemein geltenden Grundsatz der Befangenheit gibt, der auch im Anwendungsbereich der VO-UA Geltung besitzt, weil der Gesetzgeber seine Geltung nicht ausdrücklich ausgeschlossen hat.

Ist es eine der wichtigsten Aufgaben der rechtswissenschaftlichen Tätigkeit, Sinnzusammenhänge aufzudecken und sie in einer systematischen Ordnung darzustellen, so wird es nicht genügen, sich mit Beschreibung (so wie Sobotka und Filzmaier) und Ordnung von Fakten zu bescheiden. Es bedarf vielmehr eines Vorstoßes zur Bildung und Herausarbeitung von Typen, Leitgedanken und Prinzipien als Bausteinen eines „innere Systems“ der Verwaltung, der Verfassung, ja der gesamten Rechtsordnung, das die innere wertungsmäßige Einheit dieser Rechtsordnung sichtbar macht.

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