Kolumne zum Tag

Über dem Nebel scheint meistens die Sonne

(c) imago images/Jan Eifert
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Beim Hochnebel zählt nur, dass man drüber ist und nicht drunter.

Manche Sprüche sind so hinreißend blöd, dass man trotz des Überangebots an originellen Witzchen lachen muss: „Heute bin ich mit dem falschen Wein aufgestanden“, steht da zu lesen. So weit ist es noch nicht, es war doch das Bein, aber die Vorstellung ist nicht uninteressant. Wie erste Eindrücke den Tag in seine Bahnen lenken, ist ja bekannt. „Priming“ nennt es die Psychologie, wenn ein Reiz dann auch noch mit bestimmten Assoziationen verknüpft wird, der Duft eines bestimmten Parfums etwa ein Glücksgefühl hervorruft oder der Geruch nach Kreide Beklemmung.

Läuft der Tag schon mal verkehrt, ist der Anblick verwelkter roter Rosen, die jemand in den Coloniakübel im Hof gestopft hat, nicht gerade stimmungsaufhellend. So schnell geht das, zwischen der liebevollen Geste und dem Ende im Müll neben dem verschimmelten Brot liegen nur ein paar Tage. Aber während dieser haben die Blumen hoffentlich Freude gemacht.

Sich auf das Positive konzentrieren, Strukturen beibehalten, dazu raten Experten in Krisensituationen. Das heißt also, Reifen wechseln, eine Gans essen, das kitschige Leucht-Reh aus dem Keller zu holen. So wie jedes Jahr. Die Gans to go erinnert einen dann leider an die Rosen in der Tonne, sie ist nur eine Erinnerung an die schöne Tradition des Ganslessens mit Freunden. Das Beste dran waren nun einmal die Gesellschaft und die Gespräche. Wie unglaublich schnell das Jahr seit dem letzten Mal vergangen ist. Nächstes Jahr dann wieder gemeinsam, bitte.

Eine Freundin schickt ein Foto von wabernden Nebelschwaden über dem sich verdunkelnden Weinberg, ein romantisches Gemälde, und wir einigen uns darauf, dass tiefer Nebel durchaus stimmungsvoll sein kann, Hochnebel mit seinem kalten Weißgrau aber alles entfärbt und der Schönheit beraubt.

Beim Hochnebel zählt nur, dass man drüber ist und nicht drunter, sagt sie und das wünsche ich Ihnen, liebe Leser, drüber bleiben, in der Sonne, auch wenn sie nicht scheint, sie wird es wieder tun.

E-Mails an: friederike.leibl-buerger@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.11.2020)

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