Der eigenen Stille ungestört nachgehen. Georg Trakl, 1887 bis 1914.
Spectrum

Überraschende Textfunde: Georg Trakl in Neuausgabe

Mit Georg Trakls Gedichten kommt man nie an ein Ende. Sie sind ein eigener Kosmos von Farben, Motiven und Klängen – ohne Generalschlüssel zur Interpretation. Jetzt wieder zum Nachlesen.

Wer sich jemals eingelassen hat auf die düstere Bildwelt und den schönen Klang von Georg Trakls Gedichten, dem gehen sie nie mehr aus dem Sinn. Nicht einmal dann, wenn er wie Ludwig Wittgenstein bekennen muss: „Ich verstehe sie nicht, aber ihr Ton beglückt mich.“ Buchhalter der Literaturgeschichte schubladisieren diese Gedichte noch immer unter „Expressionismus“, obschon Trakl mit der Gedichtsprache seiner Zeit kaum etwas zu tun hat und zu einer einzigartigen Bildwelt vorstößt, die in jeder Zeit ein Fremdkörper bleibt, der verstört und staunen macht. Trakl hat den Klang seiner Gedichte so sorgfältig und in immer wieder neuen Varianten komponiert, und ihr Klang ist das Gegengewicht auch noch zu den dunkelsten Bildern. Niemand hat über Georg Trakl so präzise gesprochen wie Ilse Aichinger: Seine Sprache ist seine Form der Askese. In ihr bewahrt sich, was von uns verlangt wird: eine Hineingenommenheit ins Äußerste, die die Möglichkeit hat, sich zu Hilfe und Leuchtkraft zu wandeln.

Ob Trakl an der Erfahrung des Ersten Weltkriegs zerbrochen ist, als er in der heute ukrainischen Stadt Gródek in einer Scheune 90 Schwerverwundete ohne Arzt zwei Tage lang betreuen musste, oder ob er Gródek schon immer in sich trug, lässt sich schwer sagen. Sagen lässt sich mit Ilse Aichinger, wie die bedrängenden Erfahrungen seines Lebens in die Gedichte eingingen: Von der „Süße der traurigen Kindheit“ bis zu den zerfetzten Rändern seiner Existenz hat die Angst ihn nie verlassen. Er holt aus den Todeskämpfen seiner Tage die stillen Nachmittage, die wir notwendig haben, die Gefasstheit der schmerzenden Vormittage, an denen unser Leben hängt. Er holt aus dem Untergang, der so früh bei ihm begann, die Freude des Entdeckens, den Geschmack des Weins und der Nüsse, die schöne Stadt. Er erleidet alles und schmilzt es ein.

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.