Gastkommentar

Ein Sohn klagt gegen Belgiens Euthanasiegesetz

Prüft das belgische Sterbehilfe-Gesetz: Der europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Strassburg.
Prüft das belgische Sterbehilfe-Gesetz: Der europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Strassburg.(c) REUTERS (VINCENT KESSLER)
  • Drucken

Der gebürtige Belgier Tom Mortier hat sein Land vor dem Europäischen Gerichtshof verklagt: Man habe ihn seiner Mutter beraubt. Österreich täte gut daran, sich diesen Fall anzusehen.

Gastkommentare und Beiträge von externen Autoren müssen nicht der Meinung der Redaktion entsprechen.

In Österreich steht ein Urteil des Verfassungsgerichthofs zu aktiver Sterbehilfe unmittelbar bevor. Deren Legalisierung wäre ein Dammbruch, was den Schutz des Menschenrechts auf Leben betrifft. Weit weniger Beachtung findet in unseren Breiten ein Fall, der den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte mit demselben Thema beschäftigt. Das Gericht in Straßburg ist die höchste rechtliche Instanz in Europa und mit dem Schutz der Menschenrechte betraut. Seine Urteile beeinflussen die Rechtsprechung für 820 Millionen Europäer in 47 Ländern, einschließlich Österreich.

Der gebürtige Belgier Tom Mortier verklagte sein Land vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Man hätte ihn seiner Mutter beraubt. Godeliva de Troyer litt an schweren Depressionen. 2012 erhielt Mortiers Frau eines Tages einen Anruf einer Klinik. Sie könne die Sachen der Schwiegermutter abholen. Auf eigenen Wunsch hatte sie am Vortag ein Arzt „behandelt“: Frau de Troyer hatte eine tödliche Injektion erhalten. Ohne Konsultation der Familie, ohne Bedenkzeit. Die 64-jährige Mutter und Großmutter dreier Enkel war körperlich gesund. Auch ihre Depressionen hatte sie immer wieder in den Griff bekommen. Bis sie an den falschen Arzt geriet. Für Tom Mortier eine Verletzung der Grundrechte auf Leben und Familie.

Der jüngste Patient war neun Jahre alt

Frau de Troyers Schicksal ist kein Einzelfall. Ging es in der Kampagne, die sich in Belgien seinerzeit für eine Gesetzesänderung zugunsten assistiertem Suizid einsetzte, noch lediglich um die plakativen Härtefälle, so änderte sich der Umgang mit dem neuen „Recht auf Sterben“ rasch. Aus weniger als 20 Fällen in den ersten Jahren wurden mehr als 2000 Fälle pro Jahr. Viele sprechen bereits davon, dass aus einem eifrig geforderten „Recht auf Sterben“ gerade für ältere Menschen bereits eine „Pflicht zu Sterben“ wurde.

Aber nicht nur ältere Menschen spüren nach fast zwei Jahrzehnten gelebter Euthanasie die soziale Kälte, die die Legalisierung mit sich brachte. Seit 2014 dürfen auch Minderjährige euthanasiert werden, der jüngste Patient war erst neun Jahre alt. Das einst enge Korsett an Gründen, das eine derartige Behandlung legitimierte, wurde zunehmend gelockert. Heute qualifizieren nicht nur physische, sondern auch psychische Leiden den Tod von der Hand eines Arztes.

Tom Mortier kämpft gegen das Unrecht, das nach seinem Empfinden an ihm und seiner Familie verübt wurde. Als seine Frau ihm von dem Telefonanruf der Klinik berichtet hatte, konnte er es zuerst nicht glauben. Weder Arzt noch Klinik hatten ihn oder seine Geschwister über die bevorstehende Euthanasie informiert.

Österreich sollte auf Belgiens Statistik blicken

Er ging vor Gericht. Auf nationaler Ebene blitzte er ab. Nun liegt der Fall in Straßburg. Mortier verklagte Belgien und der Gerichtshof, der weniger als sechs Prozent der eingereichten Fälle annimmt, entschied im Dezember 2018, diesen spezifischen Fall zu hören. Schon bald könnte es eine richtungsweisende Entscheidung aus Straßburg geben, ob Belgiens Gesetze den Menschenrechten widersprechen. Konkret geht es um das Recht auf Leben, auf Familie und auf faire Anhörung.

Hierzulande könnte der Verfassungsgerichtshof das Verbot von Euthanasie nun kippen oder zumindest aufweichen und assistierten Suizid teilweise oder ganz zulassen. Belgiens Statistik zeigt: ist der Damm erst mal gebrochen, gibt es kein Halten mehr.

Die Autoren

Robert Clarkeund Andreas Thonhauser arbeiten für die große Menschenrechtsorganisation ADF International, die Tom Mortier vor dem EGMR vertritt.

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.