Mein Dienstag

Ist der Schmerz dumpf, pochend, ziehend, brennend oder stechend?

Clemens Fabry
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Symptome zu beschreiben ist nicht einfach. Schon gar nicht in einer Fremdsprache.

Sprachbarrieren bei Menschen mit Migrationshintergrund, wenn sie das Gesundheitssystem in Anspruch nehmen müssen – alle paar Jahre, zuletzt wieder rund um die Diskussion von Covid-19-Patienten in Spitälern, werden sie aufs Tapet gebracht und wecken unschöne Erinnerungen. Bei den Betroffenen selbst, aber auch bei ihren Kindern, die dieses Reizthema für gewöhnlich ein Leben lang begleitet. Denn der Gedanke, dass ihre Eltern krank werden, ihre Beschwerden aber nicht ausreichend artikulieren können und daher nicht die notwendige Behandlung erhalten, Ärzte sie vielleicht sogar nicht ernst nehmen und in Verlegenheit bringen, ist für sie unerträglich. Daher würde kein Migrantenkind mit Pflichtbewusstsein und einem Funken Anstand seine Eltern allein zum Arzt schicken, wenn sie nicht gut genug Deutsch sprechen. Jeder, der mit elf Jahren seine Mutter zur Gynäkologin und seinen Vater zum Kardiologen begleitet hat, wird ihre Hilflosigkeit im Angesicht der Autorität von Ärzten nie vergessen.

Aber nun zur Frage, die viele im Kopf haben, sich aber nicht zu stellen trauen: Wie können Menschen, die in Österreich leben, wenn auch nur seit Kurzem, nicht ausreichend Deutsch sprechen, um allein zum Arzt zu gehen? Keine unberechtigte Frage. Vielleicht, weil sich immer jemand findet, der mitgeht und übersetzt. Vielleicht, weil sie am Ende schon irgendwie zu ihren Medikamenten kommen. Vielleicht, weil sie so selten krank werden, dass der Leidensdruck nicht groß genug ist, um etwas an ihrer Situation zu ändern. Vielleicht aber auch nichts von all dem. Denn wer beim Rekapitulieren seiner Erfahrungen in Ordinationen und Ambulanzen ehrlich zu sich ist, weiß, wie schwierig es sein kann, Symptome zu beschreiben – selbst in der eigenen Muttersprache, geschweige denn in einer Fremdsprache. Oder könnte jemand so ohne weiteres auf Englisch erklären, ob die Schmerzen in der Schulter dumpf, pochend, ziehend, brennend oder stechend sind?

Mag sein, dass sich das für viele larmoyant anhört – und nach einseitiger Betrachtung eines unangenehmen Phänomens. Aber bestimmt nicht einseitiger als so manch andere Debatte, die auf dem Rücken dieser Menschen geführt wird.

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