Für eine kleine Weile durften sich die Wiener “dem Wahn hingeben, als sei das alles, was wir früher erlebt haben, nur ein wüster Spuk gewesen und ein toller Fiebertraum, aus dem man glücklich wieder erwacht sei”.
Neue Freie Presse am 30. November 1920
Ein Sonntagabend im großen Musikvereinssaale, der bis auf das letzte Plätzchen gefüllt ist. Kein Modekonzert, keine gut ausgezogenen Damen, keine Perlenketten und keine Brillantboutons, die von erfolgreicher Flucht vor der Krone erzählen. Ein Publikum, in dessen handfeste Beifallsfreudigkeit sich so etwas wie wehmütige Rührung mischt und die bittersüße Erkenntnis des "Einmal muß geschieden sein". Es ist, als wäre der ganze Saal damit beschäftigt, in alten, vergilbten und zerlesenen Liebesbriefen zu stöbern. Dabei ist das, was raschelt, nur das Zweikronenprogramm eines Liederabends, das ein wenig lehrreich ankündigt: "Das Wiener Lied in seiner Entwicklung."