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Damals schrieb die "Die Presse": Tanzen ohne Leiber

Wien, 12. Jänner 1871. Die regelmäßige Wiederkehr der Jahresfeste ist im Begriffe, den armen Rest von Verstand, der dem Menschenvolke zu seinem Schaden noch übrig geblieben ist, fürsorglich zu confisciren: der Fasching beginnt. Vor Paris hat man nicht einmal so lange gewartet, um – Confetti zu werfen. Und wie es Goethe in seiner Darstellung des Carnevals von Rom so schön beschreibt, bläst man sich auch vor Paris gegenseitig mit allem Eifer die Lichtlein aus, nur sind es zufällig die Lebenslichtlein.

Wahrhaftig, die ausgelassensten Carnevalsfeste aller Völker und Zeiten brachten noch nichts Tolleres zu Stande, als der Fasching von 1871 schon in seinem Beginne, und blos deshalb, weil er beginnt, weil er leibhaftig in dieser Zeit zu erscheinen die Laune hat. Diesmal darf er die Bezeichnung „Prinz Carneval“ führen, die sonst so abgeschmackt und widersinnig war, weil ja gerade von den Prinzen selten oder niemals etwas Unterhaltendes für die Welt ausgegangen ist. Dies hat sich geändert. Der Fasching erscheint wie ein Prinz, mit all den Gaben angethan, wie sie Fürsten unter die Völker zu werfen pflegen, im prächtigsten – Granatenschmuck. Der Tod schwingt den Fiedelbogen. Bei der Solidarität alles Menschenlebens bedarf es nur wenigen Gemüthes und nur geringer Phantasie, um zu glauben oder zu empfinden, daß die Tausende von abgeschossenen Beinen selbst es wären, die sich in Position stellen und sich anschicken, ohne ihre respectiven Leiber zu tanzen.

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