Gerecht in allen Sätteln

Ein junges Mädchen wird entführt. O. P. Zier glossiert in „Mordsonate“ entlang einer packenden Kriminalstory die sozialen Zustände in einer klimatisch benachteiligten Bananenrepublik.

Der allumfassende Konkurrenzgedanke als soziale Leitidee ist nicht mehr nur auf die Chefetagen der globalen und lokalen Wirtschaft beschränkt, er hat auch schon die Kinderzimmer erreicht. War dieses Phänomen früher auf einzelne „Eislaufmütter" beschränkt, die ihre Kinder in früher Morgenstunde auf den Eislaufplatz zwecks Training trieben, meinen es jetzt die Eltern massenhaft gut mit ihrem Nachwuchs und lenken die Kinder mehr oder weniger behutsam in zahlreiche Zusatzqualifikationen. Könnte ja einmal Schauspieler in einem Wildwestfilm werden, der Kleine, da schadet es nicht, wenn er mit zehn Jahren bereits reiten kann. Und auch sonst in allen Sätteln gerecht ist. Nach dem Training ab in die Dusche - dann ist er auch mit allen Wassern gewaschen. Wie es früher hieß: Früh krümmt sich, was ein Häkchen werden will. (Die Frage, ob überhaupt wer ein Häkchen werden will, tut da nichts zur Sache.) Ist ja wirklich schlimm, wenn sich bereits die ersten Kinder aus der Lumpenbourgeoisie mit dem Prekariat begnügen müssen.


Da man heute mit derlei schon rechnet, geht man O. P . Zier in seinem neuen Krimi, „Mordsonate", anfangs auf den Leim. Da ist in Salzburg die zehnjährige Birgit Aberger, aus einfachen Verhältnissen stammend, auf dem Heimweg vom Vorbereitungslehrgang des Mozarteums entführt worden - ein pianistisches Wunderkind, das Österreich bald beim Internationalen Klavierwettbewerb in Vilnius vertreten soll. Die für Krimileser notorische Frage „Cui bono?" führt direkt zum Vater ihrer besten Freundin Anja Weger, die gleichfalls schon Klavierunterricht erhält - ohne allerdings die Qualitäten der Kollegin zu erreichen. Einen Verdächtigen haben wir also schon: Hans Weger.


Der war früher Autoverkäufer, ist aber rechtzeitig vom konservativen Bahnsteig auf den Populistenzug eines vor zwei Jahren im Suff verstorbenen Politikers aufgesprungen, um Karriere im landeseigenen Energiekonzern zu machen. Vorstandsdirektor für Sonderprojekte ist er geworden, doch hinter diesem pompösen Titel stecken nur ein Schreibtisch, eine Sekretärin, ein Bombengehalt und diverse Privilegien. Zu tun hat er in Wirklichkeit nichts - und er geht nicht fehl in der Annahme, dass er seines Versorgungsjobs bald verlustig gehen könnte, da seine „Feschistenpartei" zu einem Randbröserl auf dem Tisch der Politik verkommen ist. „ Wenn Birgit nicht da ist, kann ja Anja nach Vilnius fahren." Da dies Hans Weger selbst denkt, wird er vorerst auf der Liste der Verdächtigen ein wenig zurückgereiht. Auch wenn wir den Parteigünstling („Je weniger sie tun, desto kleiner der Schaden für das Unternehmen!") nicht ungern hinter Gittern sähen.


Aber er ist nicht der einzige Wiedergänger von „Es gilt die Unschuldsvermutung" in diesem Roman. Der Autor entwirft auf mehr als 400 Seiten ein Goya-Bild der österreichischen Realität, denn auch hierzulande gebar der Schlaf der Vernunft Ungeheuer. Politschranzen intrigieren in der Gegend herum, unfähige Mastdarmakrobaten besetzen Ämter in der - nicht nur - staatsnahen Wirtschaft, knapp dem Schulabbruch entgangene Idioten mit Logorrhö werden Medienstars. Fast scheint es, als habe hier O . P . Zier die fast alles erklärende „Soziologische Weltformel" (Parkinsons Gesetz + Murphy's Law + Peter-Prinzip) in Romanform darstellen wollen.
Es ist eine klimatisch benachteiligte Bananenrepublik, die der Autor hier zeigt, ein kriminogenes Biotop von Gebern und Nehmern, dessen Sumpfblüten seit dem Schaissel-Hüder-Pakt prächtig gediehen sind und die jetzt vermehrt in ihrer Hässlichkeit sichtbar werden. Immer wieder ertappt man sich während des Lesens bei einem zustimmenden „So ist es". Leider, so ist es wirklich!
Die Realität stellte dem Autor genug Material zur Verfügung. Der hier im Roman angeführte - selbstverständlich vertuschte - Autounfall eines führenden Politikers unter Alkoholeinfluss, bei dem ein Mensch getötet wurde, hat sich aber in dem von Salzburg ja nicht weit entfernten Bayern zugetragen, dem Lenker traute man weiterhin hohe Ämter zu - ausgerechnet im Verkehrsbereich.


Aber was so riecht wie's Heu - bei uns ist ein ähnlicher Fall vielleicht gar nicht erst ruchbar geworden. Oder ein anderes Exempel: Regelmäßig zur Festspielzeit wird in Salzburg eine künstlerische Aktion im öffentlichen Raum von Konsumperern und in ihrer Geisteshaltung schlichten Medien skandalisiert. Zier verpasst hier als Beispiel für die zum Brauchtum gewordene Erregung dem Mozart-Denkmal in Salzburg sechs weiße Lacktränen, mit der der Entführer Spuren legen will. Sofort beginnen die Medien ihr „ Warum-weint-Wolferl?-Spiel". Eine große Rolle spielt auch die düstere c-Moll-Sonate (KV 457) des Komponisten. Analog zur dreisätzigen Sonatenform hat der Autor den Roman in drei Großkapitel gegliedert. Für die Düsternis sorgen das letale Schicksal des entführten Mädchens und der psychisch gestörte Brutalitäter, der das von ihm inszenierte Katz-und-Maus-Spiel mit der Öffentlichkeit als „Gesamtkunstwerk" anlegt und genießt.
Aber: O. P . Zier lässt hier erstmals den Kriminalisten Dr. Erich Laber als Protagonisten agieren, dem man in noch vielen Romanen wiederbegegnen möchte, weil er kein staubtrockener Polizeijurist auf dem Karrieretrip ist - im Gegenteil. Schlagzeuger in einer Rockband war er einst, und Rebell ist er geblieben. Verfangen in einer vertrackten Familiengeschichte, kennt er die menschlichen Dunkelzonen und begegnet unbeugsam Oberflächlichkeiten, Vorurteilen und politischen Intrigen. Der einzige ihm nachzuweisende Irrtum findet sich auf Seite 171: „Mich würde kein Autor erfinden!" Hier liegt er ausnahmsweise falsch.


Es ist die Gesamtverfassung des Landes, die der Autor kritisch im Auge hat: das unselige Wirken der Führungsnieten, die verloren gegangene Kindheit, „die Rache der Talentlosigkeit an der Begabung", „die unfassbare Hemmungslosigkeit im Ausleben krimineller Energie", um nur vier Punkte zu nennen. Aber sprechen wir davon, was in diesem großartigen Roman so alles nicht oder kaum vorkommt: fremdenfeindliches Trotteltum auf politischer und medialer Ebene; Helotisierung der Individuen durch Computerroristen; die Unfähigkeit mitteleuropäischer Zivilisationen im Umgang mit dem Segen einer jahrzehntelangen Friedenszeit. Genug Stoff also für weitere Krimis von O . P . Zier mit dem Ermittler Erich Laber. Man darf sich freuen! ■

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