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Aus kinderleicht wird altersschwer

Irgendwann beginnen Turnübungen schon im Kopf zu scheitern.

Es war eine Art Schockstarre. Gebannt blickte ich von der Wand auf den Fußboden. Wieder zurück. Wieder nach unten. Bewegt habe ich mich nicht. Es erschien mir völlig unmöglich, die Hände auf den Boden zu bringen und die Beine schnell nach oben zu schwingen. Der Handstand ist bereits im Kopf gescheitert. Dabei ist der früher kinderleicht gewesen.

So ähnlich ist es mir zuletzt schon einmal ergangen. Im Sommer bin ich versteinert auf einer Reckstange gesessen. Dort, wo wir in der Kindheit ganze Nachmittage verbracht haben, habe ich mich plötzlich höchst unwohl gefühlt. Die Angst war nicht zu überwinden. Ich schaffte es nicht, mich nach vor, ins Nichts, fallen zu lassen, um mich mit Schwung einmal um die Stange herum zu bewegen. Dabei ist die „Mühle“, wie der Spreizumschwung genannt wird, damals in Dauerschleife gelaufen. Ein turnerisches Kräftemessen mit den Nachbarskindern war das.

Vielleicht, könnte man meinen, habe ich mit den Jahren ein Problem entwickelt, mich Hals über Kopf in Dinge zu stürzen. Das gilt aber weniger im wörtlichen und mehr im übertragenen Sinne. Denn die Furcht steigt in mir bei Hals-unter-Kopf-Übungen genauso auf. Das habe ich beim Seilklettern festgestellt. Auch das Hinaufziehen am Tau ist im Turnunterricht einst einfacher als zuletzt im Fitnessstudio gewesen. Mit jedem Zentimeter, der an Höhe gewonnen wird, gibt es auch mehr nachzudenken – über die Technik, die Kraftreserven und die Fallhöhe. Für solche Gedanken ist als Kind kein Platz gewesen.

Vielleicht gibt es einfach Turnübungen, die kinderleicht, aber zugleich altersschwer sind. Ich weiß, der Begriff lässt sich in keinem Wörterbuch finden, aber ich plädiere dafür, ihn aufzunehmen. Damit lässt sich dieses Gefühl nämlich am besten beschreiben.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.02.2021)

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