Treffer

Ein Hoch dem Maulkorb?

Als der gesuchte Herr ein Exemplar seines jüngst erschienenen Druckwerkes an seinen etwas älteren Kollegen sandte, den er bis dahin weder getroffen noch gesprochen hatte, erhielt er schon bald darauf eine schriftliche Replik.

Darin bestätigte er den Jüngeren in seinem Tun, überlegte aber auch laut, ob es sinnvoll sei, auf der im Werk dargelegten Meinung zu beharren – unter allen Umständen. Der Jüngere, ein Deutscher, wies diese Zweifel freundlich zurück und untermauerte seine Meinung sogar noch, indem er festhielt: Es gebe nur wenige, „die sich von uns scheiden wollen“.
Seine Vorfreude auf einen regelmäßigen Gedankenaustausch wurde jedoch nicht erfüllt, da der Ältere, ein Italiener, nie mehr auf diesen Brief, der auch eine Bitte enthalten hatte, reagierte.
Über die Zeit schien das Interesse an einer Freundschaft stets größer seitens des Deutschen, während sich der Italiener wenig kollegial zeigte, indem er zuweilen Erforschungen des Deutschen als seine eigenen ausgab. Allerdings schien sich der Deutsche daran nicht zu stoßen. So meinte er, den Kollegen „halte ich nicht zurück, meine Sachen für sich in Anspruch zu nehmen“. Ja, ja, die Uneitelkeit des einen unterschied sich entscheidend vom Streben nach Ruhm des anderen. Folglich sah Ersterer in Zweiterem einen gleichgesinnten Kollegen, Zweiterer in Ersterem einen Rivalen.

Dem Italiener, der sich doch keinen Maulkorb anlegen ließ, brachte diese Haltung (zu der Zeit nicht nur „stur“, sondern gar „leichtsinnig“ zu nennen) letztlich einen Gerichtsprozess ein, dessen Urteil zumindest nur Beschränkung der persönlichen Freiheit lautete und nicht, wie damals oft üblich, Tod. Ein Nachfolger der Ankläger sprach am 31. Oktober 1992 von einem „schmerzlichen Missverständnis“ punkto des Prozesses, was aber nicht wirklich als Entschuldigung dem Wissenschaftler gegenüber gemeint war, sondern vielmehr als Verständnisbekundung hinsichtlich des Handelns der Ankläger. – Der Deutsche war einst damals übrigens „nur“ verbannt worden.
Getroffen haben sich die beiden nie persönlich – was vielleicht auf die Unbequemlichkeit von weiten Reisen zurückzuführen war, lebten die zwei ja im 16. und 17. Jahrhundert.

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