Schwermut auf der Seele

Depression. Das bleierne Coronajahr hat das Land mit kollektiver Bedrücktheit überzogen. Zwei Waffen wirken gegen die Niedergeschlagenheit – ganz ohne Medikamente.

Jeder zweite Europäer ist für Depressionen anfällig, sagt Alfred Pritz, Psychoanalytiker und Gründungsrektor der Sigmund-Freud-Privatuniversität. Corona tat sein Übriges: „Kollektiver Missmut liegt über dem Land.“

Aus dem sich eine Gruppe schlagartig befreit: die glücklich Geimpften. Pritz staunt über deren raschen Stimmungswandel: „Sie erzählen das sofort und voller Freude. Das Prinzip Hoffnung siegt über die Niedergeschlagenheit.“

Darauf müssen viele noch ein wenig warten. Bei ihnen mischen sich reale äußere Probleme (Erkrankung, Jobverlust) mit inneren Sorgen (Existenzängsten, Freiheitsbeschränkung, Einsamkeit). „Ein Zeichen der Depression ist, dass man sich ohnmächtig fühlt, diesen Zustand zu verändern. Man fühlt sich ausgeliefert.“ Manche suchen sich dann Ventile, toben sich etwa auf Demonstrationen aus. Andere „verstricken sich in Wahnvorstellungen, dass es die Krankheit gar nicht gibt“.

Pritz spinnt den Faden weiter: Weil man „ohnehin nicht weiß, was richtig und falsch ist“, steigen Skepsis und Misstrauen. Gegenüber den Medien, was anfällig für die Suggestionen der persönlichen Internetblase macht. Und gegenüber der Wissenschaft, „weil die nur aufzeigt, nicht heilt“. Die Folgen sind Einigeln und Rückzug.

Selbstwirksamkeit

Gegen klinische Depressionen helfen Therapie und Medikamentation. Gegen noch nicht pathologische Niedergeschlagenheit gibt es zwei Waffen. Die erste ist Selbstwirksamkeit, definiert als Überzeugung, etwas bewegen und auch schwierige Situationen durch eigenes Handeln lösen zu können. Aktiv die Dinge in die Hand zu nehmen statt passiver Opferhaltung, die äußeren Umständen die Schuld gibt. Je größer die Zahl der Handlungsoptionen, desto stärker das Gefühl der Selbstwirksamkeit.

Es sind Aktivitäten jeder Art, die aus dem Sumpf ziehen: Sport, Musik, Lesen, Podcasts, „es gibt tausend Möglichkeiten“. Auch ein Corona-Tagebuch zu schreiben gehört dazu: „Das hilft zu externalisieren, zu distanzieren. Es verändert den Blick vom Opfer zum teilnehmenden Beobachter.“

Resilienz

Die zweite Waffe ist Resilienz (lat. für zurückspringen, abprallen), definiert als die Fähigkeit, sich an veränderte Umstände anzupassen. Resilienz steht auf den sieben Säulen Optimismus, Akzeptanz, Lösungsorientierung, Verlassen der Opferrolle, Übernehmen von Verantwortung für sich selbst, Zukunft planen und Netzwerkdenken.

Österreich hat hier mit dem U-livewell-Gründer Korayem Razik einen international anerkannten Experten. Als erster Europäer wird er im September auf der weltweit größten Konferenz zum Thema, der „Resiliency 2021“, sprechen. Der Fokus des Mentalcoaches liegt nicht auf Behandlung, sondern Prävention. „Am besten helfen uns die Menschen um uns herum“, bekräftigt Razik. Je stärker das soziale Netz, desto mehr trägt es: „Es ist nicht schlimm, um Hilfe zu bitten.“ Der Kanal sei egal, Nähe entstehe auch über Telefon und soziale Netzwerke.

Schlüsselfaktor allerdings ist Selbstliebe, sich „um sich selbst zu kümmern. Wenn mir mein Körper egal ist, esse ich nicht gesund und betreibe keinen Sport. Dann werden meine Blutwerte schlecht und ich mag noch weniger, was ich im Spiegel sehe“ – ein Teufelskreis. Den zu stoppen oder gar nicht erst zu starten, lässt sich lernen. Razik hat dafür passende Balancing-Programme – auch für Unternehmen.

ZU DEN PERSONEN

Der Psychoanalytiker Alfred Pritz ist Gründungsrektor der Sigmund-Freud-Privatuniversität und Präsident des World Council for Psychotherapy.

Mentaltrainer Korayem Razik beschäftigt sich als Gründer und CEO von U-livewell mit Resilienz und dem Verbessern der Life-Balance. [ SFU, U-livewell ]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.02.2021)

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