Glaubensfrage

Verfolgt wegen „falscher“ Religion: Wo bleibt der Aufschrei über den weltweiten Skandal?

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INDIA-RELIGION-CHRISTIANITY-EASTER(c) APA/AFP (LAURENCE THOMANN)
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Die Charta der Menschenrechte ist keine Menükarte, auf der nach Belieben ausgewählt wird.

Die Einschränkungen der Freiheit, die wir zu erdulden haben, sind gravierend, schmerzhaft, eine Zumutung und – nicht zuletzt – ein rechtlicher Balanceakt. Dieses Virus lässt kaum eine Wahl.

Wir warten, dass Kinder einen normalen Schulalltag erleben. Dass Restaurants, Kaffees, Heurige öffnen. Dass wieder groß gefeiert werden kann, zu Hause, in Lokalen. Dass es wieder möglich wird, ins Kino, Theater, Konzert, Fitnesscenter, Yoga-, Tanzstudio zu gehen, zu verreisen. Die Einschränkungen bleiben nach den am Freitag bekannt gegebenen Öffnungsschritten bis Mitte Mai mannigfaltig.

Freiheit ist ein besonderes Gut, ein schützenswertes. Wenn sie eingeschränkt ist, wie jetzt in der Pandemie, schmerzt uns das. Wie weit darf die Freiheit in der Pandemie zugunsten eines anderen Gutes, der Gesundheit, gekappt werden? Auch die Religionsfreiheit. Immerhin, wir erinnern uns vielleicht nicht mehr, waren zeitweise Gebete und kultische Handlungen in den Häusern aller Religionsgemeinschaften nur möglich, wenn höchstens zehn Personen anwesend waren.

Die Religionsfreiheit ist überhaupt ein unterbelichtetes Menschenrecht. Artikel 18 der Erklärung der Menschenrechte formuliert: „Jeder hat das Recht auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit; dieses Recht schließt die Freiheit ein, seine Religion oder seine Weltanschauung zu wechseln, sowie die Freiheit, seine Religion oder seine Weltanschauung (...) öffentlich oder privat (...) zu bekennen.“ So weit, so eindeutig.

Aber in einem Drittel der Staaten wird Religionsfreiheit mit Füßen getreten, darunter besonders bevölkerungsreiche, wie China und Indien, auch Pakistan, Bangladesch und Nigeria. Insgesamt sind daher zwei Drittel (!) der Menschheit von religiöser Verfolgung betroffen. In 30 Ländern werden Menschen aus Glaubensgründen sogar ermordet. In jedem fünften Land müssen Menschen, die ihre Religionsgemeinschaft verlassen, mit massiven rechtlichen oder sozialen Konsequenzen rechnen. Das hat erst ein vor ein paar Tagen veröffentlichter Bericht der päpstlichen Stiftung „Kirche in Not“ über Religionsfreiheit weltweit ergeben. Er wurde in der breiteren Öffentlichkeit gar nicht oder quasi mit einem Achselzucken zur Kenntnis genommen. Natürlich ist in dem Report nicht nur die Verfolgung von Christen dokumentiert, auch Muslime, Juden, Hindus und andere sind Opfer.

Die Charta der Menschenrechte ist keine Menükarte, auf der nach Belieben das eine oder andere ausgewählt, das eine oder andere weggelassen werden darf. Noch einmal: Zwei von drei Menschen werden aktuell wegen ihrer Religion verfolgt, Tendenz steigend. Wo bleiben Reaktionen, Aktionen, Sanktionen von Politik, Diplomatie und Wirtschaft? Wo bleibt der Aufschrei der Gesellschaft? ⫻

dietmar.neuwirth@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.04.2021)

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