Replik

Terroropfer in Wien: Die Republik Österreich könnte auch anders

(c) Peter Kufner
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Wolfgang Peschorn irrt, wenn er sagt, außergerichtliche Entschädigungszahlungen an die Opfer und Angehörigen des Terroranschlags in Wien hätten strafrechtliche Konsequenzen für die Republik Österreich. Zudem hindert sie niemand, die Verantwortung für ihre Fehler bei der Terrorbekämpfung zu übernehmen.

Vergangenen Freitag war der Leiter der Finanzprokuratur, Wolfgang Peschorn, in der „ZiB 2“ zu Gast. Thema des Interviews waren Entschädigungszahlungen an Opfer des Terroranschlags in Wien am 2. November 2020. Auf die Frage, warum angesichts der Schadenersatz-, insbesondere der Schmerzengeldansprüche der Opfer vonseiten der Republik keine großzügigeren Zahlungen als jene auf Basis des Verbrechensopfergesetzes geleistet werden, behauptete Peschorn, eine darüber hinausgehende Zahlung wäre gesetzwidrig und damit „strafrechtlich relevant“.

Unsere Kanzlei, das möchten wir eingangs bewusst offenlegen, vertritt die Mutter eines Todesopfers. Die Tochter, wie drei weitere Personen, überlebte dieses Attentat nicht. Außergerichtlich wurde der Familie lediglich ein Bruchteil des geltend gemachten Schmerzengeldes und der Bestattungskosten ersetzt. Wir haben uns daher entschlossen, die Familie pro bono bei der Durchsetzung ihrer Ansprüche gegenüber der Republik Österreich zu vertreten.

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Trifft es nun tatsächlich zu, dass die Bereitschaft der Republik Österreich für außergerichtliche Entschädigungszahlungen strafrechtliche Konsequenzen hätte? Um das Ergebnis vorwegzunehmen: Nein, die Behauptung von Peschorn ist aus strafrechtlicher Sicht schlichtweg falsch.

Für die strafrechtliche Beurteilung seiner Aussage muss unterschieden werden, ob außergerichtliche Entschädigungszahlungen an die Opfer des Terrorattentats bzw. ihre Angehörige im Rahmen der Hoheitsverwaltung geleistet werden. Diese liegt vor, wenn der Staat mit Rechtsakten agiert, die Ausdruck der staatlichen Hoheitsgewalt sind, z. B. Verordnungen und Bescheide. Im Gegenzug dazu bedient sich der Staat in der Privatwirtschaftsverwaltung jenen Rechtsformen, die auch Privaten – also den Bürgern – zur Verfügung stehen. Für die Hoheitsverwaltung gilt ein striktes Legalitätsprinzip; sie darf nur aufgrund der Gesetze erfolgen. Eine bescheidmäßige Zuerkennung von Ansprüchen durch die Republik Österreich dürfte daher tatsächlich nur bei Vorhandensein einer entsprechenden Rechtsgrundlage erfolgen. Eine solche Rechtsgrundlage stellt etwa das Verbrechensopfergesetz dar.

Zivilrechtliche Haftung

Bei den hier infrage stehenden Entschädigungsansprüchen der Opfer geht es aber gerade nicht um solche des Verbrechensopfergesetzes, sondern um Amtshaftungsansprüche gegen die Republik. Die rechtliche Analyse hat daher (auch) strafrechtlich betrachtet nicht im Bereich der Hoheitsverwaltung, sondern in der nicht hoheitlichen (Privatwirtschafts-)Verwaltung zu erfolgen. Aus diesem Grund ist die von Peschorn in Aussicht gestellte „strafrechtliche Relevanz“ von Entschädigungszahlungen anhand des Straftatbestandes der Untreue gemäß § 153 Strafgesetzbuch (StGB) zu messen.

Bei Schäden, die staatliche Organe im Rahmen ihrer hoheitlichen Tätigkeit rechtswidrig und schuldhaft zufügen, ist in Ergänzung zu den allgemeinen zivilrechtlichen Regeln das Amtshaftungsgesetz (AHG) heranzuziehen. Amtshaftungsansprüche können, wie auch sonstige Schadenersatzansprüche, mit Klage bei Gericht geltend gemacht werden. § 8 AHG sieht vor, dass der Geschädigte den Rechtsträger zunächst, also vor Einbringung einer Klage, schriftlich dazu auffordern soll, den Ersatzanspruch anzuerkennen. Das ist gegenständlich im Übrigen auch geschehen. Die Finanzprokuratur – die „Anwältin der Republik“ – hat jedoch jegliche zivilrechtliche Verantwortung von sich gewiesen, mit der Begründung, die involvierten staatlichen Organe hätten den Terroranschlag nicht verhindern können. Aus diesem Grund waren wir im konkreten Fall gezwungen, die Amtshaftungsansprüche gerichtlich geltend zu machen.

Nun behauptete Peschorn in der „ZiB2“ aber auch, dass eine außergerichtliche Einigung nur auf Basis der Gesetzeslage zulässig sei und ohne eine solche Grundlage Entschädigungszahlungen „strafrechtlich relevant“ seien. Das ist falsch: Der Staat hat, wie auch jeder „Private“, die Möglichkeit, zivilrechtliche Ansprüche von Geschädigten anzuerkennen.

Selbstverständlich hätte die Republik Österreich, vertreten durch die Finanzprokuratur, den im Aufforderungsschreiben geltend gemachten Schadenersatzanspruch außergerichtlich (allenfalls auch nur teilweise, z. B. hinsichtlich des Ersatzes der Begräbniskosten) anerkennen und damit beiden Seiten eine zivilprozessuale Abhandlung des Terroranschlages ersparen können. Ein außergerichtliches Anerkenntnis der geltend gemachten Schadenersatzzahlungen wäre nicht nur zivilrechtlich zulässig, sondern auch strafrechtlich erlaubt. Denn der strafrechtliche Gradmesser für nicht hoheitliches Handeln von staatlichen Organen, der Untreuetatbestand des § 153 StGB, verlangt für eine Strafbarkeit einen wissentlichen Missbrauch der dem Organ eingeräumten Befugnis. Strafrechtlich relevant wäre daher eine außergerichtliche Einigung mit (potenziell) Geschädigten nur dann, wenn diese missbräuchlich geschähe, also außerhalb des vernünftigerweise Argumentierbaren läge und das staatliche Organ sich dessen gewiss wäre. Wäre ein Anerkenntnis von Schadenersatzansprüchen der Opfer des grausamen Terrorattentats vom 2. November 2020 bzw. ihrer Angehöriger tatsächlich außerhalb jeglicher Vernunft? Wäre es missbräuchlich, wenn die Republik Österreich die Verantwortung für die Unzulänglichkeiten beim Risikobewertungsprogramm für Gefährder, bei der Datenverarbeitung und beim Informationsfluss zwischen den Behörden übernimmt?

Verfehlte Drohung mit der „Strafrechtskeule"

Aus unserer Sicht wäre es gerade ein Zeichen für die Stärke unserer Gemeinschaft und für den gemeinsamen Kampf gegen Hass und gegen Terrorismus, wenn die Republik Österreich gegenüber den Opfern des Terroranschlages Verantwortung für ihre Fehler bei der Terrorbekämpfung übernimmt. Unabhängig davon darf die Finanzprokuratur durch die strafrechtliche Brille betrachtet sehr wohl außergerichtlich geltend gemachte Ansprüche anerkennen. Denn wie auch jeder Unternehmer in einer solchen Situation muss die Republik das mit einem Zivilverfahren einhergehende Risiko analysieren. Dabei sind nicht nur das mit einem Zivilprozess notwendigerweise verbundene Prozess- und Kostenrisiko sowie die Frage der Beweisbarkeit des eigenen Standpunktes einzubeziehen, sondern auch, ob es im Interesse der Republik liegt, das Terrorattentat samt den behördlichen Säumnissen in einem streitigen Verfahren gegen die Opfer eben dieses Terroranschlages bzw. ihrer Angehöriger abzuhandeln.

Eine „strafrechtliche Relevanz“ eines außergerichtlichen Anerkenntnisses der geltend gemachten Ersatzansprüche (zumindest zum Teil) kann dabei beim besten Willen nicht erblickt werden. Die „Drohung mit der Strafrechtskeule“ geht hier ins Leere. Es wäre wünschenswert, wenn sie daher nicht derart medienwirksam von einem ranghohen Vertreter der Republik Österreich geäußert wird.

ZU DEN AUTOREN

Dr. Norbert Wess (*1975) ist Gründungspartner, Dr. Vanessa McAllister (*1991) ist Partnerin der Wess Kux Kispert & Eckert Rechtsanwalts GmbH (WKK Law Rechtsanwälte). Die Kanzlei verfügt über Standorte in Wien, Salzburg und Berlin.

Einer der wesentlichen Tätigkeitsschwerpunkte der Kanzlei ist die Betreuung und Vertretung von Personen und Unternehmen in allen Bereichen des (Wirtschafts-)Strafrechts sowie die Geltendmachung von damit in Zusammenhang stehenden Ansprüchen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.05.2021)

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