Gastkommentar

Moderne Gesetzgebung im Zivilrecht: Wunsch und Wirklichkeit

Der Entwurf einer Gewährleistungsrechtsreform enthält nicht das, was eine Arbeitgruppe nach intensiver Arbeit vorbereitet und überwiegend befürwortet hatte. Sachgerechte Lösungen scheinen nicht gefragt zu sein.

Die Umsetzung europäischer Richtlinien ist oft Anlass und Chance zugleich, den mit dem Richtlinienthema zusammenhängenden nationalen Rechtsbestand zu verbessern. Heute spricht man meist von „Modernisierung“, die bei über 200 Jahre alten Gesetzen wie dem ABGB auch dringend nötig ist. Gut gelungen ist das etwa im Jahr 2010: Zugleich mit der Einführung eines europarechtskonformen Verbraucherkreditgesetzes wurde das ABGB-Darlehensrecht intensiv überarbeitet. Vorschläge dafür wurden in einer beim Justizministerium installierten Arbeitsgruppe vorbereitet und anschließend vom Parlament weitestgehend umgesetzt. So gut läuft es derzeit bei der Reform des Gewährleistungsrechts leider nicht.

Trotz ambitionierter Aktivitäten der zuständigen Abteilung und einer intensiven Arbeitsgruppenarbeit (elf Sitzungen zu je drei Stunden) unter Beteiligung einer Vielzahl von Rechtswissenschaftlerinnen und -wissenschaftlern, die im Sommer 2020 abgeschlossen war, dauerte es „ewig“, bis im April 2021 ein Begutachtungsentwurf vorgelegt wurde. Nun ist aber große Eile geboten, da das EU-Recht eine Kundmachung des neuen Rechts bis spätestens 30. Juni 2021 verlangt.

Nachhaltigkeitsaspekte nicht berücksichtigt

Der vorgelegte Entwurf entspricht allerdings in einigen wichtigen Punkten nicht dem, was in der Arbeitsgruppe vorbereitet und dort ganz überwiegend befürwortet wurde: Dem Vernehmen nach war der Entwurf des „grün geführten“ Justizministeriums beim großen Koalitionspartner auf wenig Gegenliebe gestoßen. So finden Nachhaltigkeitsaspekte wie längere Fristen für langlebige Güter im Begutachtungsentwurf keine Berücksichtigung mehr. Die nach 2002 (erste Gewährleistungsrechtsreform) zweite Chance, diese so wichtige Materie inhaltlich und sprachlich in eine zeitgemäße Fassung zu bringen, scheint ebenfalls nicht genutzt zu werden; eine weitere ist nicht in Sicht. Zufriedenheit darüber dürfte allenfalls bei der Wirtschaftskammer aufkommen.

Daher werden wir – ein Beispiel von vielen – offenbar weiterhin mit der vollkommen unpassenden Einstufung des Verkaufs einer nicht mehr vorhandenen Sache als Fall mangelhafter Leistung in § 923 Absatz 1 ABGB leben müssen, obwohl die Arbeitsgruppe einstimmig für eine Streichung eintrat. Der Text aus dem Begutachtungsentwurf:

Im Wortlaut

§ 923. (1) ABGB Wer also der Sache Eigenschaften beylegt, die sie nicht hat, und die ausdrücklich oder vermöge der Natur des Geschäftes stillschweigend bedungen worden sind; wer ungewöhnliche Mängel, oder Lasten derselben verschweigt; wer eine nicht mehr vorhandene, oder eine fremde Sache als die seinige veräußert; wer fälschlich vorgibt, daß die Sache zu einem bestimmten Gebrauche tauglich; oder daß sie auch von den gewöhnlichen Mängeln und Lasten frey sey; der hat, wenn das Widerspiel hervorkommt, dafür zu haften.

(2) Bei Waren mit digitalen Elementen sowie bei digitalen Leistungen ist auch dafür Gewähr zu leisten, dass dem Übernehmer während des Vertragszeitraums oder, wenn ein solcher nicht vereinbart wurde, während des Zeitraums, den der Übernehmer aufgrund der Art und des Zwecks der Ware und deren digitaler Elemente beziehungsweise der digitalen Leistung und unter Berücksichtigung der Umstände und der Art des Vertrags vernünftigerweise erwarten kann, nach vorheriger Information jene Aktualisierungen zur Verfügung gestellt werden, die notwendig sind, damit die Ware oder die digitale Leistung weiterhin dem Vertrag entspricht. Das gilt nicht, wenn beide Vertragsteile Verbraucher sind.

Warum „die Politik“ (genauer: die Regierung; noch genauer wohl: die ÖVP) dagegen ist? Keine Ahnung. Und wenn die Vorschrift des § 923 ABGB bereits erwähnt wird: Während der „alte“ Absatz 1 (seit 1811 unverändert) sowohl inhaltlich als auch sprachlich überholt ist (ein zeitgemäßer alternativer Textvorschlag für § 923 Abs 1 s. unten), enthält der „moderne“ Absatz 2 einen monströsen, schwer verständlichen Schachtelsatz. Wollen wir im 21. Jahrhundert wirklich solche Gesetzesbestimmungen? Wenn nein: Warum werden sie (vermutlich) dennoch vom Parlament beschlossen?

Textvorschlag

Vorschlag eines neu formulierten § 923 (Abs 1) aus dem Modernisierungsprojekt:

Die Sache entspricht insbesondere dann nicht dem Vertrag, wenn

  1. ihr eigens vereinbarte Eigenschaften fehlen,
  2. sie ungewöhnliche nachteilige Eigenschaften oder Lasten aufweist,
  3. sie nicht dem Übergeber gehört,
  4. sie nicht zu dem vom Übergeber zugesagten Gebrauch geeignet ist oder
  5. sie trotz gegenteiliger Zusicherung die üblichen nachteiligen Eigenschaften aufweist.

Vielleicht sollte man sich für wichtige Gesetzesvorhaben Vorbilder im Procedere suchen. Sie liegen nicht weit entfernt. So wurde die große deutsche Schuldrechtsreform von einer Gruppe akademischer Experten, also renommierter Rechtswissenschaftlern, vorbereitet. Resultat war ein weitestgehend gut formuliertes, systematisches und widerspruchsfreies Regelwerk (Schuldrechtsmodernisierungsgesetz 2001), das im formellen Gesetzgebungsprozess kaum mehr verändert wurde.

Verjährungs- und Ersitzungsrecht als nächste Chance

In Österreich bietet sich mit der Reform des ebenfalls über 200 Jahre alten Verjährungs- und Ersitzungsrechts die nächste Chance. Auch hier war der Beginn im Jahr 2019 ambitioniert. Allerdings kam die Arbeitsgruppenarbeit schon vor längerer Zeit zum Stillstand. Als Mitglied erfährt man nur, dass derzeit anderes Priorität habe.

Soll man resignieren? Nein. Für sachgerechte Verbesserungen – und nicht für von Partikularinteressen geleitete Lösungen – einzutreten, sollte auch unter widrigen Umständen Aufgabe und Pflicht der Rechtswissenschaft und ihrer Vertreter/innen sein. Schweigen sollte man hingegen nicht. Wer, wenn nicht die der Objektivität verpflichteten Wissenschaftler, verdient auch im Vorfeld der Gesetzgebung Gehör?

Zum Autor

o. Univ.-Prof. Dr. Peter Bydlinski (Universität Graz) arbeitet seit einigen Jahren an einem ABGB-Modernisierungsprojekt, das vor allem auf bessere Verständlichkeit abzielt: https://abgb-modernisierung.uni-graz.at

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