Literatur

Mir graust vor diesem Volk

Mit kalter Ironie beschreibtFlaubert in den „Lehrjahren der Männlichkeit“ das Auseinanderfallen von romantischem Ideal und illusionsloser Nüchternheit seiner Zeit. Die Neuübersetzung der „L'Éducation sentimentale“ opfert allerdings die philologische Genauigkeitfür die Lesbarkeit.

Der Mob ist der Staatsfeind von innen. Für die Literatur ist das nichts Neues: Was der entfesselte Mob anrichten kann, hat sie längst auf dem Radar. So hat der Augenzeuge Gustave Flaubert in seinem Roman „L‘Éducation sentimentale“ in kaltblütiger Drastik festgehalten, wie ausfällig es wird, wenn der Pöbel der Gesellschaft das Zentrum der Staatsgewalt im Sturm einnimmt: „Da war das Volk. Es stürmte die Treppe hoch, eine wogende Flut bloßer Köpfe, von Helmen, roten Jakobinermützen, Bajonetten und Schultern, so wild, dass Menschen untergingen in dieser wimmelnden Masse, die immer weiter anstieg? Vorwärtsgetrieben gegen ihren Willen betraten sie einen Raum, an dessen Decke sich ein roter Samtbaldachin spannte. Auf dem Thron darunter saß ein schwarzbärtiger Proletarier, das Hemd offen, vergnügt und blöde grinsend wie ein Berberaffe. ,Ein Mythos‘, sagte Hussonnet: ,Das souveräne Volk.‘ Dann verfinsterte sich das Toben . . . Taugenichtse versuchten mit ihren Säbeln Schläuche durchzuhauen? ,Weg hier‘, sagte Hussonnet, ,mir graust vor diesem Volk‘.“

Der Pöbel macht sich breit im Schatzhaus des Staats: ein Fanal für jede Gesellschaft. Wir haben es, mehr als anderthalb Jahrhunderte nach Flauberts Niederschrift, in den Bildern vom Sturm auf das US-Kapitol wiedergesehen: Einmal losgelassen, bahnt sich der Mob seinen Weg. Das Ziel ist Zerstörung: das Sanktuarium des Staats soll verheert werden. Erlebt hatte Flaubert den Aufruhr und die Plünderungen beim Sturm des „Volks“ auf die Tuilerien in Paris im Februar 1848. In seinem dritten Roman, 1869 erschienen, stellt der Revolutionssturm nicht das zentrale Ereignis dar, aber das nachhaltigste. Alle Freunde des Haupthelden Frédéric schwadronieren von der Revolution, doch als sie da ist, wird sie zum niederschmetternden Desaster.

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