Polnisches Hoffen auf die chinesische Autobahn

Polnisches Hoffen chinesische Autobahn
Polnisches Hoffen chinesische Autobahn(c) REUTERS (JASON LEE)
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Der Markteinstieg der viel billigeren Chinesen beunruhigt die europäische Baulobby und Politik. Unter der betroffenen Lokalbevölkerung ist von einer Angst vor Chinesen nichts zu spüren – im Gegenteil.

[Wiskitki]Das Café „Zum netten Eck“ ist verriegelt, der Lebensmittelladen „Yogi“ ebenso. Im Bauerndorf Wiskitki, 50 Kilometer westlich von Warschau, deckt man sich eher bei den Marktfahrern auf dem nahen Parkplatz ein. Neben einheimischen Äpfeln und im nahen Bulimowski-Urwald gesammelten Pilzen werden hier auch chinesische Textilien und Plastikwaren feilgeboten.

Doch von der nächsten Etappe der Globalisierung ist noch wenig zu spüren. „Chinesen habe ich hier noch keine gesehen“, brummt ein Einheimischer in den nebligen Morgen. Auf einem Feld hinter dem Friedhof jedoch hat ein von der China Overseas Engineering Group (Covec) geführtes Konsortium bereits die ersten Bagger auffahren lassen. In wenigen Tagen soll von Wiskitki aus der Bau eines 20 Kilometer langen Abschnitts der Autobahn A2 zwischen Berlin und Warschau beginnen.

Konkurrenz fürchtet Dumping

Die Bauvergabe an die Chinesen – die erste für ein solches Großprojekt in der EU – hatte vor Jahresfrist für einen Aufruhr in der polnischen und europäischen Straßenbaulobby gesorgt. Die chinesische Staatsfirma Covec hatte in ihrer Offerte die Preisvorgabe des polnischen Straßenbauamtes (GDDKiA) um 60 Prozent unterschritten und damit gleich den Zuschlag für zwei Abschnitte (von fünf) bekommen.

Die Konkurrenz spricht seitdem von Dumpingpreisen, Qualitätsmängeln, Billiglöhnen und einer drohenden Flut chinesischer Wanderarbeiter. Behördensprecher Marcin Hadaj bestätigte damals den Einsatz Hunderter von Chinesen auf dem Bau. Doch Covec-Vertreter weisen seitdem darauf hin, dass man vor allem mit polnischen Subunternehmern zusammenarbeiten werde und die Chinesen wie alle andern auch den polnischen Mindestlöhnen unterworfen seien.

Hoffnung auf neue Jobs

„Die chinesische Autobahn ist eine große Hoffnung für unsere Gemeinde“, sagt Franciszek Miastkowski, der Gemeindevorsteher. Die staugeplagte 9500-Einwohner-Gemeinde hat bereits Land für Fabriken und Lagerhallen in Autobahnnähe bereitgestellt.

Bei einer Arbeitslosenquote von knapp zehn Prozent täten auch Jobangebote der Chinesen gut. „Die Chinesen wollten 30 Ingenieure bei mir unterbringen“, erzählt Piotr Feder, Manager des Hotels „Kuznia“ im nahen Weiler Nowa Wies. Unweit seines modernen Reithotels hatte Polen im Sommer einen Viadukt der nie beendeten sowjetischen Olympia-Autobahn nach Moskau gesprengt, um Platz für die chinesische Autobahntrasse zu machen.

Diese soll rechtzeitig zur Fußball EM 2012 eröffnet werden. „Die Chinesen sollen uns diese Autobahn nur bauen“, erklärt ein lokaler Berufschauffeur, „denn wenn die Polen Straßen bauen, gibt es doch nach einem Jahr bereits wieder Löcher im Asphalt“.

Schon ein kleiner Gewinn reicht

Die Vorarbeiten sind inzwischen fast beendet. In einem Einfamilienhaus in Zyrardow wartet die Außenstelle der Warschauer Covec-Zentrale auf die letzte Baubewilligung. Etwa zwei Dutzend Chinesen sitzen in einem Büroraum am Laptop. „Wir haben nichts zu verbergen“, verkündet im ersten Stock der polnische Vize-Abschnittsleiter Robert Piatek. Im Moment habe er rund hundert Chinesen in seinem Team von Ingenieuren. „Es gibt keine Pläne, in diesem Stadium chinesische Bauarbeiter einzustellen“, unterstreicht Piatek. Covec könne vor allem wegen des chinesischen Kapitalüberschusses günstiger bauen als die Konkurrenz. Teure Zinsen würden so entfallen. „Bestimmt wollen auch wir Gewinn machen, wenn auch vielleicht nur einen kleinen“, sagt der aus Zentralchina stammende Manager Tan Honghua.

Beim künftigen Baumschienenpark zwischen Maisfeldern außerhalb von Wiskitki zeigt der polnische Covec-Bauleiter Pawel Liskiewcz stolz eine schweizerische Walze sowie zwei deutsche Bagger. Bald würden hier Dutzende davon stehen, schwärmt Liskiewcz, der in den kommenden Monaten bis zu 1500 Mann vor allem aus der näheren Umgebung im Bau einsetzen will.

Noch nie habe er mit Ingenieuren zusammengearbeitet, die wirklich zugehört hätten anstatt alles besser als die Polen zu wissen, lobt er die Chinesen.

„Besser als manche Polen“

Im Straßendorf Lyszkowice auf der anderen Seite des geschützten Bolimowski-Urwalds wohnt seit dem Sommer ein gutes Dutzend chinesischer Ingenieure gleich neben der künftigen Autobahn. „Hunde und Katzen sind hier noch keine verschwunden“, lacht die Verkäuferin im Haushaltswarenladen gegenüber des sogenannten „Chinesen-Hotels“. Das Dorf lebe eher von Gerüchten, welche Einheimische das erste polnisch-chinesische Kind auf die Welt bringen werde. „Diese Chinesen sind so höflich“, lobt die 80-jährige Pani Helena. „Viele von denen sind besser als manche Polen.“

Auf einen Blick

Zwischen Berlin und Warschau hat ein chinesisches Konsortium mit dem Bau eines 20 Kilometer langen Autobahnabschnittes begonnen – das erste Großprojekt unter chinesischer Führung in der EU. Die Konkurrenz fürchtet nun Lohndumping, warnt vor Qualitätsmängeln und einer Flut chinesischer Arbeiter. Die Polen aber freuen sich auf die neue Autobahn – und über die Arbeit und den Besuch der Chinesen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.10.2010)

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