Man trifft sich in Opernball-Logen oder beim Jagdausflug unter dem Schnauzbart eines Lobbyisten.
Chat-Protokolle

Franzobel: Der Austriake und seine Sitten

Der Österreicher lebt nach dem Motto: Der Mensch ist seines Nächsten Haberer. Die harte Sonne der preußisch-protestantischen Korrektheit ist feindlich, also bleibt uns armen Würsteln nur das Durchlavieren. Was die Chat-Protokolle über uns und unsere Werte verraten.

Die Menschen freuen sich viel zu sehr über die moralische Erniedrigung eines anderen, als dass sie sich dieses Vergnügen durch irgendwelche Erklärungen verderben lassen, heißt es sinngemäß in Milan Kunderas „Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins“. Tatsächlich erlebt momentan ganz Österreich das Vergnügen, anderen beim Fallen zuzusehen, lässt doch ein stürzender Beinah-Messias die katholischen Gemüter bis ins hostienzarte Mark wohlig erschauern. Man mag über die Causa Kurz denken, was man will, eine Frage stellt sich mir doch: Ist hier tatsächlich ein Verfall der Sitten, wie er erst konstatiert und dann kotauig nachgekaut worden ist, festzustellen?

Mich haben die Vorwürfe der Medienmanipulation und Korruption nicht großartig irritiert, weil ich als gelernter Austriake ohnehin davon ausgegangen bin, dass solche Dinge hierzulande seit den Babenbergern an der Tagesordnung stehen. Den Leuten fehlt jegliches Unrechtsbewusstsein. Man lebt nach dem Motto: Wer gut schmiert, der fährt gut. Gemütlichkeit und der durch Sport- und Arbeitswut kaschierte latente Alkoholismus decken alles zu. Das hat einen eigenen Menschenschlag hervorgebracht, den Homo corruptus. In ländlichen Gemeinden werden Aufträge nach Absprachen vergeben, dafür wird im Gegenzug dem Bürgermeister eine Zufahrtsstraße betoniert oder das Haus gestrichen. Die Postenvergabe ist proporzgeregelt, also, das Wort klingt bereits nach olfaktorischer Intimität, streng nach Parteibuch. Auch sonst wird man in Österreich nichts, wenn man nicht in einer Partei, Verbindung, Loge, einem Beisl oder wenigstens Bordell verkehrt.

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