Gastkommentar

Ist Europa am Rande?

Putin bei seiner Rede am 18. November.
Putin bei seiner Rede am 18. November. Mikhail Metzel / Sputnik / AFP
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Europa verliert in der russischen außenpolitischen Agenda leider an Stellenwert, was keinesfalls die Wahl unseres Landes ist.

Der Autor Dmitrij Ljubinskij (* 1967) ist seit August 2015 Botschafter der Russischen Föderation in Österreich.

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In den Zeiten, wo auch scheinbar wenig wichtige Nachrichten aus der russischen Innen- und Außenpolitik eine breite Diskussionsbasis in den österreichischen Medien finden und anerkannte „Russlandexperten“, oder Personen die sich als solche anbieten, darüber um die Wette schreiben, blieb ein wirklich bedeutendes, für die Weltpolitik gar wegweisendes Ereignis hierzulande fast gänzlich unbemerkt – die Ansprache von Präsident Wladimir Putin am 18. November im Außenministerium Russlands. In dieser Rede wurden die wichtigsten Richtlinien und Herangehensweisen unserer Außenpolitik für die kommende Zukunft genannt, sowie Schwerpunkte und Aufgaben Russlands auf dem diplomatischen Parkett umschrieben.

Um diese Informationslücke zu schließen, darf ich dem werten „Presse“-Leser hierbei nur einige Passagen daraus, besonders was die Europapolitik anbetrifft, vorbringen.

Die Coronakrise, so Wladimir Putin, habe das gewohnte Leben der ganzen Welt erheblich beeinträchtigt. Trotz der ergriffenen Maßnahmen sei die Pandemie noch lange nicht besiegt – es bestünden Risiken der Ausbreitung weiterer Wellen der Krankheit, „und sich davor in einem einzelnen Land abzuriegeln wird keinem gelingen“. Deshalb rufe Russland zu einer realen Zusammenarbeit im Kampf mit dieser gefährlichen Krankheit auf. Beim G20 Gipfel schlug unser Land daher vor, in kürzester Zeit an der gegenseitigen Anerkennung von nationalen Impfzertifikaten zu arbeiten, was für die Wiederaufnahme der globalen geschäftlichen und touristischen Aktivität und zur Rückkehr zu einem „normalen Leben“ vonnöten wäre.

Was die internationalen Konflikte anbetrifft, sei Russland aktiv an deren Beilegung beteiligt. Zu den sensibelsten gehöre hierbei der innerukrainische Konflikt. „Die Ukraine weigert sich demonstrativ, ihre Verpflichtungen aus dem Minsker Maßnahmenpaket wie auch aus den im Normandie-Format erzielten Vereinbarungen zu erfüllen. Unsere Partner im Normandie-Quartett – die Bundesrepublik Deutschland und Frankreich – bestreiten verbal die Bedeutung der Minsker Abkommen nicht.“ Die Minsker Abkommen seien bereits zu einer quasi völkerrechtlichen Norm geworden, denn sie seien durch Beschluss des UN-Sicherheitsrates bekräftigt worden.

Tatsächlich aber werde der Kurs der gegenwärtigen Führung in Kiew auf die Demontage dieser Abkommen von westlichen Ländern gutgeheißen, was die Verhandlungen und die Regelung selbst leider in eine Sackgasse führe.

„Dennoch kommt es darauf an, die Vermittlungsanstrengungen in der Kontaktgruppe und im Normandie-Format fortzusetzen, und zwar mit Nachdruck, energisch, weil es keine anderen internationalen Mechanismen zur innerukrainischen Beilegung gibt. Genauso, wie es keine Alternative zur umfassenden Erfüllung der Minsker Vereinbarungen gibt“.

„Deprimierende“ Beziehung zu Nato

Die Beziehungen zum Nordatlantischen Bündnis hat Wladimir Putin als deprimierend bezeichnet. Die Nato rücke ihre militärische Infrastruktur demonstrativ näher an die Grenzen Russlands. „Was das Schwarze Meer betrifft, hier wird eine gewisse Grenze überschritten: Strategische Bomber fliegen in einer Entfernung von 20 Kilometern von unserer Staatsgrenze.“ Auch habe die Nato alle Mechanismen des Dialogs mit Russland zunichte gemacht.

„Ja, wir äußern ständig unsere Besorgnis darüber, wir sprechen von roten Linien. Aber wir verstehen natürlich, dass unsere Partner sehr eigenartig sind und alle unsere Warnungen und Gespräche über rote Linien so oberflächlich nehmen“.

Deshalb müsse unbedingt die Frage über die Bereitstellung von ernstzunehmenden und langfristigen Garantien der Gewährleistung der Sicherheit unseres Landes gestellt werden, „weil so weiter existieren und ständig daran denken, was morgen passieren könnte, kann Russland nicht“.

Auch auf die Beziehung zu den Vereinigten Staaten ging Wladimir Putin ein. Demnach gehen die Positionen und Interessen Russlands und der USA häufig grundsätzlich auseinander, dennoch sei Moskau zu Kontakten und zum Dialog bereit. Ein wichtiger Schritt auf diesem Weg sei das Treffen mit dem US-Präsidenten Biden in Genf im Juni dieses Jahres gewesen. Dieser Gipfel habe „dann dennoch einige Möglichkeiten für den Dialog, für das schrittweise Ausgleichen und Einrichten der Beziehung“ eröffnet. Nun komme es für beide Seiten darauf an, die erzielten Vereinbarungen konsequent weiterzuentwickeln. „Die gemeinsame Arbeit zur strategischen Stabilität und IT-Sicherheit ist aufgenommen worden.“

„Sollten nicht vergessen, dass wir Nachbarn sind"

In Bezug auf die europäischen Angelegenheiten müsse, so der russische Präsident, mit Bedauern festgestellt werden, dass die Kooperationsmöglichkeiten sich verengen, „auch wenn die Europäische Union unser wichtigster Handels- und Wirtschaftspartner bleibt“. Die einst durchaus ergiebige Kooperation zwischen Russland und der EU durchlebe derzeit erhebliche Schwierigkeiten: die Europäische Union stoße Russland „durch Sanktionen, unfreundliche Handlungen und haltlose Vorwürfe“ weiterhin weg, „wobei sie den offenkundigen Nutzen einer Zusammenarbeit in Politik, Wirtschaft und im humanitären Bereich vernachlässigt“.

„Es sollte aber nicht vergessen werden, dass wir Nachbarn sind“, so Wladimir Putin. Die Geschichte zeige ja, dass Trennlinien auf dem Kontinent zu nichts Gutem führten. „Russland ist natürlich am Erhalt gutnachbarschaftlicher, konstruktiver Beziehungen zu den Staaten der Europäischen Union interessiert, aber alles hängt von der entgegenkommenden Bereitschaft der Partner zur Etablierung und Förderung einer gleichberechtigten und respektvollen Zusammenarbeit ab.“

Größtenteils war die Rede aber gar nicht von Europa sondern anderen großen Themen der Weltpolitik und der VN, sowie der Zusammenarbeit Russlands mit den Partnern im GUS-Raum, in Asien, Afrika und Lateinamerika, mit den BRICS-Staaten oder im Rahmen der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit gewidmet. Europa verliert in der russischen außenpolitischen Agenda leider an Stellenwert, was keinesfalls die Wahl unseres Landes ist.

Die österreichischen Print-Medien haben also bevorzugt diese für die Europäer vermutlich nicht angenehmen Tatsachen totzuschweigen. Bleibt die Frage, wem es überhaupt letztendlich nützt?

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